Das Gesetz der Todeszone

Noch nie zuvor versuchten so viele Menschen, den Mount Everest zu besteigen. Jeder Fünfte ist gescheitert – jeder Zehnte starb, unter anderem an der Höhenkrankheit. Wann die einsetzt und was der menschliche Körper im Kampf gegen die Höhenunterschiede leisten muss, erfahren Sie hier.
6000m – Der Krieg gegen die Kälte
Wie ein Baum im Herbst, so trifft auch der Körper bei großer Kälte eine Entscheidung: Sparprogramm. Zehen und Finger werden nicht mehr durchblutet, die Unterschenkel bekommen weniger Blut. Was verfügbar ist, wird rationiert. Der Körper führt Krieg gegen den Everest und verteidigt Gehirn und Lunge bis zuletzt. Doch ihm fehlt Sauerstoff und meist auch Nahrung und Wasser. Das Thermometer sinkt auf 40, 45, 50 Grad unter Null, der Orkan tobt. Der Körper schafft es nicht mehr, dagegen anzuheizen. Am Ende werden Endorphine ausgeschüttet, Glückshormone, um noch einmal die letzten Reserven zu mobilisieren. Zu erfrieren ist eigentlich ein schöner Tod...
7000m – Die Gefahr im Kopf
Unsere Lunge braucht mindestens 350 Millibar Druck, um Sauerstoff ins Blut abgeben zu können. In der Todeszone wird dieser Wert deutlich unterschritten. Folge: Der Körper leidet unter Sauerstoffmangel, die sogenannte Höhenkrankheit tritt ein – egal, wie viel der Mensch atmet. Das Herz verlangt nach Sauerstoff und pumpt immer mehr Blut in die Arterien, bis die Kapillarwände reißen. Bergsteiger haben oft blutigen Schaum vor dem Mund, bevor sie ins Koma fallen. Diagnose: Lungenödem. Die größte Gefahr aber lauert im Kopf: Jede Minute sterben Millionen Hirnzellen an Unterversorgung. Außerdem hat die extrem trockene Luft das Blut so angedickt, dass es zu Gerinnseln kommen kann. Kopfschmerzen, Schwindel, Halluzinationen. Der Bergsteiger müsste ins Tal, um zu überleben. Doch meist ist niemand in der Lage, zu helfen...
7500m – Nur 48 Stunden
Ab einer Höhe von 5500 Metern ist eine dauerhafte Anpassung unmöglich. Bei 7500 Metern beginnt die Todeszone. Ab dieser Grenze stirbt der Mensch – egal, wie gut er trainiert ist. Selbst im Schlaf baut der Körper weiter ab. Maximale Überlebenszeit: 48 Stunden. Danach ist der Tod unausweichlich. Doch wer sich nicht ausreichend akklimatisiert, den kann die Höhe bereits am Fuß des Everest töten: 1996 flogen drei Reporter vom Tal aus mit dem Hubschrauber ins Basislager des Everest. Kaum waren sie ausgestiegen, bekamen sie schlimmste Kopfschmerzen und Herzrasen, konnten kaum atmen, brachen zusammen. Der Hubschrauber wurde sofort zurückbeordert, um die Männer zu retten – vor der Höhenkrankheit, "unten" im Basislager auf 5200 Metern ...
8500m – Im Vakuum
Plötzlich sinkt der Druck. Was gerade noch hechelnd zum Überleben reichte, wird zum tödlichen Vakuum. "Freak Weather" nennen Bergsteiger dieses Phänomen, das es fast ausschließlich am Everest zu geben scheint: Durch Aufwinde sinkt der Druck über dem Gipfel plötzlich ab, sodass die ohnehin dünne Luft in der Todeszone abgesaugt wird. Der sowieso schon geringe Sauerstoffanteil sinkt gegen null, die Bedingungen auf dem Everest ähneln dann denen im Weltall. Plötzlich liegt der Gipfel gleich unter den Sternen. Mehr als die Hälfte aller Todesfälle unter Profis gehen auf das Konto dieses Wetterphänomens. Denn: Es gibt keine Vorwarnung.
8850m – Der Atem des Everest
Der Gigant ragt in eine Höhe, in der sich nur Flugzeuge sicher bewegen können. Sein Gipfel liegt in der Stratosphäre und damit auf Höhe der sogenannten Jetstreams. Diese Winde, entdeckt durch die ersten Jetpiloten in den 1950er-Jahren, werden mehr als doppelt so schnell wie ein Hurrikan der Stärke drei – und zwar binnen Minuten! Was bei Windstille wie ein Spaziergang anmutet, wird plötzlich zur Todesfalle. Die Temperatur fällt um 30 Grad, die Eispartikel prasseln wie ein Sandstrahlgebläse auf die Haut. Der Winddruck presst die Luft aus den Lungen, Atmen wird unmöglich. Was so aussieht, als hätte sich trotz blauem Himmel eine Wolke am Gipfel des Everest verfangen, ist in Wirklichkeit eine kilometerlange Fahne aus Eispartikeln, weggerissen von einem 540-km/h-Sturm!