Das Gen für unzerstörbare Knochen

Ein Motorradfahrer überlebt fast unbeschadet einen Unfall, bei dem er hätte sterben müssen. Ärzte untersuchen seinen Körper und finden ein mutiertes Gen, das seine Knochen extrem stärkt. Mit dessen Hilfe wollen sie nun eine neue Osteoporose-Therapie entwickeln.
„Das schaff' ich“, denkt sich Toby Smith*, als er den Lkw vor sich sieht. Also gibt der Motorrad-Fahrer aus Connecticut Gas und will noch in der Kurve an dem Truck vorbeiziehen. Dann geht alles ganz schnell: das Schlingern des Motorrades, der Moment der Schwerelosigkeit, dann der Aufschlag, das Erwachen auf der Intensivstation, die erstaunten Gesichter der Notärzte. „Nach einem solchen Unfall hätte sein ganzer Körper zerschmettert sein müssen. Aber Smith war völlig okay, kein Knochen gebrochen“, erinnert sich der Internist Joseph Belsky.
Die Mediziner fanden bei Smith eine extrem erhöhte Knochendichte. „Kennen Sie den Film ,Unbreakable', in dem Bruce Willis einen Mann spielt, der jedes Unglück überlebt? Toby Smith ist wirklich unzerbrechlich“, sagt der Genetiker Richard Lifton von der Yale University. Er hat die Gene der gesamten Familie Smith untersucht. Sieben der Familienmitglieder sind „unzerbrechlich“. „Die hohe Knochendichte der Familie wird durch die Mutation eines einzelnen Gens ausgelöst“, sagt Lifton. „Keiner der Betroffenen hat sich jemals einen Knochen gebrochen. Nebenwirkungen gibt es so gut wie nicht, außer einem breiten Kiefer. Und die Smiths haben Probleme beim Schwimmen, ihre dichten Knochen sind eben schwer.“
Das schafft stabile Knochen
Knochen sind echtes, lebendiges Gewebe, kein totes Gestein. 70 Prozent Kalziumphosphat, 30 Prozent Kollagen – das sind die wichtigsten Zutaten für das Knochenrezept. Kalziumphosphat ist ein Mineral, aus dem auch unsere Zähne bestehen. Es macht unsere Knochen hart, aber spröde. Kollagen ist ein Protein, das ähnlich verdrillt ist wie ein Stahlseil. Kollagenfasern reißen selbst dann nicht, wenn man sie mit dem Zehntausendfachen ihres Gewichts belastet. Im Knochen sorgen sie für die richtige Portion Festigkeit.
Die Kollagenfasern umgeben die Mineral-Kristalle und schaffen ein stabiles Netzwerk. Zwischen diesen beiden Hauptbestandteilen stecken die Knochenzellen. Sie machen nur einen sehr kleinen Teil der Knochenmasse aus, hauchen dem Knochen aber Leben ein. Sie bauen ihn ständig um, erneuern ihn, halten ihn stabil und lassen ihn wachsen. Im Inneren der Knochen liegt das Knochenmark. Zumindest in den großen Knochen hat es eine wichtige Aufgabe: Die Produktion unserer Blutzellen.
Bei normalen Menschen ist die Knochendichte zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr am höchsten. Danach werden die Knochen schwächer, weil der Körper weniger Kalziumphosphat einlagert. Die größten Knochenprobleme bekommen Frauen nach den Wechseljahren. Durch Veränderungen des Hormonhaushalts sinkt ihre Knochendichte rapide. 30 Prozent von ihnen erkranken dann an Osteoporose, ihre Knochen werden so brüchig wie ein trockenes Stück Holz.
Ein Segen für Osteoporose-Patienten
Richard Liftons Entdeckung des Superknochen-Gens bei der Familie Smith könnte ein Segen für Osteoporose-Patienten sein. „Wir verstehen die genetische Regulierung der Knochendichte nun immer besser. Eine Schlüsselstellung nimmt das Gen LRP5 ein. Bei der Familie Smith war das Gen so mutiert, dass es besonders aktiv wurde, und das führt zu sehr dichten Knochen“, sagt Lifton.
Der Genetiker und seine Kollegen von der Yale University haben aber noch etwas anderes entdeckt: LRP5 stellt im Laufe eines Lebens seine Aktivität immer mehr ein. Dafür sorgt ein Protein, das das Gen langsam ausbremst. Lifton sieht darin einen Weg zu einer neuen Osteoporose-Therapie: „Mit Medikamenten könnten wir das Brems-Protein ausschalten, LRP5 kann normal weiterarbeiten, und die Knochen bleiben dichter." Das sind zwar nicht die Super-Knochen der Familie Smith, aber für Millionen älterer Menschen ist "ein bisschen fester“ schon fest genug. Unzerbrechlich – „Unbreakable“ – müssen nur Superhelden sein.
*Name von der Redaktion geändert