Cute Aggression: Ist das normal?

Cute Aggression ist ein seltsames Phänomen: Empfinden wir etwas als „zu“ niedlich, kommen aggressive Impulse in uns auf. Aber wie ist es zu erklären, dass wir Babys am liebsten in die Wange beißen möchten oder süß dreinblickende Hundewelpen zerdrücken wollen? Die Wissenschaft hat eine plausible Antwort darauf gefunden.

Eine Frau küsst ihr lachendes Babys auf die Wange
Der Anblick eines Babys löst bei vielen Menschen cute aggression aus Foto: iStock_erreperdomo

„Es ist so süß – am liebsten würde ich es zerquetschen“ – dieser Gedanke durchfahrt viele Menschen beim Anblick von etwas Niedlichem. Meist lösen Babys oder Tiere aggressive Impulse aus, manchmal aber auch der Partner oder die Partnerin. Das kann einen selbst erst mal einen großen Schrecken bereiten. Wie ist die sogenannte Cute Aggression zu erklären? Und ist sie normal?

Was ist Cute Aggression?

Der Begriff Cute Aggression (manchmal auch „playful aggression“), auf Deutsch „süße Aggression“, wurde erstmals 2013 auf einer Tagung der Society for Personality and Social Psychology von den beiden Wissenschaftler:innen Rebecca Dyer und Oriana Aragón der University of Yale vorgestellt. Cute Aggression beschreibt ein Gefühl, das sich aus zwei gegensätzlichen Impulsen zusammensetzt: überwältigende Entzückung und Aggression.

2015 belegten Wissenschaftler:innen der Yale University das Phänomen mit einem Test: Den Studienteilnehmer:innen wurden Fotos von süßen Babys und Tieren gezeigt. Während sie sich die Fotos anschauten, hielten sie Luftpolster-Folie in der Hand. Sobald sie etwas als besonders niedlich empfanden, zerdrückten sie die Folie.

Ist Cute Aggression normal?

Betrachtet man etwas Niedliches wie ein Baby oder ein Tier, kommt der Impuls auf, ihm Gewalt anzutun – es zu zwicken, zu zerquetschen oder zu beißen. Auch wenn dieses Gefühl befremdlich sein kann, ist es völlig normal und ungefährlich. Denn die aggressiven Impulse werden nicht in die Tat umgesetzt. Und das möchte man auch gar nicht.

Stattdessen bekommt der Auslöser der Cute Aggression lediglich eine feste Umarmung, einen dicken Kuss auf die Wange oder eine lange Kuscheleinheit. Die Aggression kommt aber dennoch in reduzierter Form zum Vorschein, beispielsweise, indem man mit den Zähnen knirscht oder die Hände zu Fäusten ballt, was durch eine körperliche Anspannung bedingt ist. Auch mit Worten wird dem Gefühl manchmal Ausdruck verliehen: Oft sagt man den Satz „Ich könnte dich auffressen“.

Warum will man Babys beißen?

Erklärungen für das Phänomen lieferte eine Untersuchung aus dem Jahr 2018 von der University of California. Dabei wurden die Gehirnströme von 54 Proband:innen gemessen, die süße Tierfotos vorgelegt bekamen. Deren Niedlichkeit sollten die Proband:innen auf einer Skala von 1 bis 10 bewerten. Je höher die Bewertung ausfiel, desto stärker waren die Gehirnströme. Es zeigte sich, dass die Cute Aggression das Belohnungszentrum aktiviert und demnach positive Gefühle auslöst.

Laut der Studienleiterin Katherine Stravropoulos könnte die Niedlichkeitsaggression evolutionsbedingt sein. Sie habe die Funktion, einen Gefühlsüberschwang zu verhindern. Denn würden wir von ihrer Niedlichkeit überwältigt werden, könnten wir uns nicht um Babys kümmern: Wir wären ständig abgelenkt und würden mögliche Gefahren nicht rechtzeitig erkennen. Das Gehirn übersetzt darum einen Teil der positiven Gefühle in Aggressionen, um das emotionale Gleichgewicht wiederherzustellen.

Aber nicht jeder reagiert auf den Anblick von etwas Niedlichem so stark. Menschen, die auch in anderen Situationen sogenannte dimorphe (gegensätzliche) Gefühle empfinden und schnell von ihren Gefühlen überwältigt werden, neigen eher zu Cute Aggression.

Gehören Sie zu den Menschen, die Cute Aggression beim Anblick eines süßen Tieres empfinden? Testen Sie sich mit dem nachfolgenden Bild:

Eine Katze schläft auf einem Ball aus blauem Garn
Foto: iStock_Siarhei SHUNTSIKAU

Cute Aggression beim Partner

Nicht nur Babys und Tiere können Cute Aggression auslösen, sondern auch der:die Partner:in. In einer romantischen Beziehung ist das Gefühl jedoch etwas vielschichtiger. Neben einem Niedlichkeitsempfinden spielt auch starke Zuneigung und Freude über die Gegenwart des anderen in das Gefühl mit rein.

Und auch die Erscheinungsformen der Aggression können anders sein: Während man sich bei Babys oder Tieren zusammenreißt, kann man seinen überbordenden Gefühlen in einer Beziehung etwas nachgeben, indem man seine:n Partner:in beispielsweise leicht in den Arm beißt oder so fest an sich drückt, dass es schon fast ein bisschen wehtut.

Foreneinträge und Memes in sozialen Netzwerken zeigen, dass vor allem das spielerische Beißen einer geliebten Person viele Menschen kennen, entweder weil sie es selber tun oder es schon einmal erlebt haben. Wer „Opfer" von Cute Aggression wird, sollte es daher als Kompliment ansehen – Ihr Gegenüber hat Sie einfach zum Fressen gern.