Cotard-Syndrom: Wenn Menschen sich wie Leichen fühlen

Leidet ein Mensch an dem seltenen Cotard-Syndrom, ist er der festen Überzeugung, tot zu sein. Er gibt an, seine Organe und das Blut verloren zu haben, zu verwesen, fühlt sich hirntot und leidet unter Denkstörungen. In der stärksten Ausprägung verneint man sich selbst und die ganze Welt um sich herum.

Toter Mensch mit Leichenzettel am Zeh
Menschen, die unter dem Cotard-Syndrom leiden, halten sich selbst für tot Foto: istock/Katarzynabialasiewicz

Ein Fallbeispiel:

Ein 48-jähriger Brite namens Graham wird nach einem misslungenen Selbstmordversuch ins Krankenhaus eingeliefert. Man behandelt den unter Depressionen leidenden Mann daraufhin mit Antidepressiva, doch er selbst gibt acht Monate nach dem Suizidversuch an, die Tabletten könnten ihm nicht helfen, da er seit dem Vorfall hirntot sei. Bei dem Versuch, sich in der Badewanne mit einem Toaster einen tödlichen Stromschlag zu versetzen, habe er damals sein Hirn “frittiert”, so der Patient. Laut eigener Aussage habe er nun weder ein Bedürfnis zur Nahrungsaufnahme, noch ein Schlafbedürfnis. Der Gedanke, er sei bereits tot, machte den Mann komplett antriebslos. Und auch offensichtliche Beweise der Ärzte, die seine Selbstdiagnose außer Kraft hätten setzen müssen, waren bei dem 48-Jährigen völlig wirkungslos. Sein Fall wurde 2013 von den beiden Neurologen Adam Zeman der britischen Universität Exeter und seinem belgischen Kollegen der Universität Liège untersucht.

Symptome für das Cotard-Syndrom

Was wie die Story aus der Zombie-Serie “The Walking Dead” klingt, ist für wenige Menschen weltweit traurige Realität. Vom Cotard-Syndrom Betroffene eint dabei der Gedanke, sie seien tot, ganz und gar unwirklich. Darüber hinaus leugnen sie oft, ein Gehirn zu besitzen, geben an, keine Nerven, keinen Darm, keinen Magen und keine Brust mehr zu haben. Entweder würden sie, ähnlich einem Zombie, nur noch aus der Haut und den Knochen des Körpers bestehen oder aber gänzlich zu einem Geist geworden sein. Das heißt, der Patient entwickelt während dieser seltenen aber sehr schweren pathopsychologischen Erkrankung gravierende und einschneidende nihilistische Ideen (vom lat.: nihil = nichts).

Namensgeber für das gemeinsame Auftreten dieser bestimmten charakteristischen Symptome innerhalb eines gekennzeichneten Krankheitsbildes (= Syndrom) war der Neurologe Jules Cotard (1840–1889). Er schilderte als Erster einen entsprechenden Fall, bei dem eine Frau 1880 verlangte, verbrannt zu werden, da sie kein Gehirn mehr besitze und tot sei. Er beschrieb das Phänomen damals als “délire des négations” (dt. etwa: wahnhafter Glaube an die eigene Nichtexistenz).

Ursachen für das Cotard-Syndrom

Das Cotard-Syndrom kann im Zusammenhang mit depressiven Störungen und bei schizophrenen und organischen Psychosen in Erscheinung treten. Neurologisch verortet man das Krankheitsbild nahe dem Capgras-Syndrom, bei dem Menschen ihnen nahestehende Personen für Doppelgänger halten. Bei beiden Phänomenen, so die Wissenschaftler, liege eine Trennung der beiden Hirnareale vor, die für die Gesichtserkennung und die emotionale Verknüpfung verantwortlich sind.

Geisteskrankheit Cotard-Syndrom

Da das Cotard-Syndrom vor allem als Begleiterscheinung von Psychosen wie Schizophrenie und bipolaren Störungen anzutreffen ist und teils mit Depressionen und Migräne in Zusammenhang gebracht wird, ordnet man es generell den neurologischen Krankheiten oder Geisteskrankheiten zu. Es gibt aber auch Fälle, die sich zusammen mit neurologischen Krankheiten wie Epilepsie, Demenz oder nach Schlaganfällen und Hirnblutungen zeigten. So geht man davon aus, dass auch eine organische Störung der Hirnfunktionen dahinterstecken könnte.

Cotard-Syndrom als Nebenwirkung von der Einnahme des Medikaments Aciclovir

Im Jahr 2007 gab es zwei Fälle des Cotard-Syndroms, die als Nebenwirkung von der Einnahme des Medikaments Aciclovir gesehen werden können. Der Arzneistoff aus der Gruppe der Virostatika wird eigentlich zur Behandlung von Infektionskrankheiten durch gewisse Viren aus der Familie der Herpesviren eingesetzt.

Häufigkeit des Cotard-Syndroms

Zwei Studien geben einen vagen Überblick darüber, wie häufig das Cotard-Syndrom auftritt. Sowohl chinesische Wissenschaftler (1995) als auch Forscher aus Österreich (2013) gaben an, ihren Untersuchungen nach zufolge betreffe das Krankheitsbild nur weniger als ein Prozent der Psychiatriepatienten weltweit.

Behandlung des Cotard-Syndroms

Die psychiatrische Behandlung des Cotard-Syndroms wird häufig durch die Gabe von Antidepressiva oder Neuroleptika unterstützt. Zudem setzt man auch auf Elektrokonvulsionstherapie – hier werden wenige Sekunden lang Stromimpulse im Gehirn ausgelöst, um eine kurzzeitige Überregung zu erzeugen, die später einen antidepressiven Effekt hervorruft. Studien zeigen, dass mehr als 50 Prozent aller Patienten, die auf Medikamente nicht ausreichend ansprechen, positive Ergebnisse verspüren. Bei Betroffenen, die auch an Wahnvorstellungen leiden, liege die Wirksamkeit sogar bei 90 Prozent.

Im Fall des Briten Graham brachte ein Hirnscan ein wenig Klarheit in das Krankheitsbild. Das Ärzte-Team stellte fest, dass in gewissen Regionen seines Gehirns der Stoffwechsel aktiver war als bei vollkommen gesunden Patienten. In anderen Hirnregionen aber herrschte so ein geringer Stoffwechsel wie etwa bei Patienten, die sich unter Vollnarkose im künstlichen Koma befinden. Das Merkwürdige daran ist aber, dass jene Patienten nicht bei Bewusstsein sind oder irgendwie kommunizieren können.

Die Wissenschaftler gehen daher davon aus, dass beim Cotard-Syndrom sowohl die Gehirnregion in Mitleidenschaft gezogen wurde, die für die Selbstwahrnehmung verantwortlich ist, als auch jene, die das Überprüfen von Hypothesen und das rationale Denken regelt. Letzteres sei wohl auch der Grund dafür gewesen, dass sich Graham, trotz bester Argumente der Ärzte, nicht von seiner Lebendigkeit überzeugen ließ. Dem 48-Jährigen gelang es aber – dank der Untersuchung, Psychotherapie und Medikamenten – wieder zurück ins Leben zu finden.

Quellen:

  • Die lebenden Leichen, in: wissenschaft.de
  • Möller HJ: Therapie psychischer Erkrankungen. Georg Thieme Verlag 2007
  • Marneros A: Enzyklopädie der Eponymen Syndrome und Begriffe in Psychiatrie und Klinischer Psychologie. Springer-Verlag 2019