Capgras-Syndrom: Wenn Menschen Doppelgänger sehen

Mordlustige Doppelgänger nahestehender Menschen trachten nach dem eigenen Leben: Was nach Horrorfilmen wie "Wir" von Jordan Peele klingt, wirkt durch das Capgras-Syndrom absolut real. So selten diese Erkrankung auch ist, so schwerwiegend sind ihre Auswirkungen auf Betroffene.

Foto: iStock
Betroffene isolieren sich vor Angst oft komplett Foto: iStock/martin-dm

Was ist das Capgras-Syndrom?

Ein elfjähriges Mädchen erkennt seine Eltern nicht mehr, nachdem diese von einem Kurztrip zurückkommen – es glaubt, sie seien durch Doppelgänger ersetzt worden und würden es vergiften wollen. Das Mädchen hört Stimmen, hat Angst und versteckt sich. Die Menschen, die es für Doppelgänger seiner Eltern hält, hören die Stimmen nicht.

Das Kind fühlt sich vollkommen allein und auch die Eltern entfernen sich emotional von ihrer Tochter. Weil sie das Verhalten des Mädchens nicht einschätzen können, entwickeln sie neben Schuldgefühlen auch Wut auf das Kind. Der Fall aus Italien, der 2012 im “Journal of medical case reports” veröffentlicht wurde, zeigt auf, was für Ausmaße das Capgras-Syndrom für Betroffene und deren Angehörige haben kann.

Nach ausführlicher Recherche und vielen Gesprächen mit dem Mädchen und seinen Eltern kommen Ärzte und Psychiater zu dem Schluss: Das Kind leidet am Capgras-Syndrom.

Durch Einnahme von Neuroleptika (Medikamente, die eine antipsychotische Wirkung haben), die sonst bei Schizophrenie verabreicht werden, geht es dem Mädchen schlussendlich zumindest ein wenig besser. Nach insgesamt vier Monaten verschwindet die verstörende Vorstellung, die Eltern seien ausgetauscht worden. Eine Depression aber bleibt zurück.

Eher ein Symptom als ein Syndrom

Da die Einbildung, Bezugspersonen seien durch Doppelgänger ersetzt worden, das einzige Krankheitszeichen des Capgras-Syndroms darstellt, bezeichnen Experten es als sogenannte monothematische Illusion.

Manche Psychiater definieren die Erkrankung darum auch eher als Symptom und nicht als Syndrom. Denn letzteres zeichnet sich durch das gemeinsame Auftreten bestimmter charakteristischer Symptome innerhalb eines gekennzeichneten Krankheitsbildes aus. Das ist hier nicht der Fall.

Das Capgras-Syndrom als Begleiterscheinung

Das Capgras-Syndrom taucht meist als Begleiterscheinung anderer Krankheitsbilder auf – zum Beispiel nach Schlaganfällen, bei Demenz, Alzheimer, Hirnblutungen oder anderen Verletzungen des Gehirns, Psychosen oder akuten Verwirrtheitszuständen (Delirium).

Die Erkrankung geht zudem häufig mit anderen psychischen Auffälligkeiten wie Halluzinationen, Wahnvorstellungen oder Schizophrenie einher. So fühlen sich viele Betroffene von Feinden verfolgt, die ihre Angehörigen entführt oder gestohlen haben und sie umbringen wollen. Auffällig oft denken die Patienten, die Doppelgänger würden versuchen, sie zu vergiften.

Diese Verknüpfung fehlt beim Capgras-Syndrom

Entgegen der früheren Annahme, das Capgras-Syndrom hänge mit der generellen Unfähigkeit, Gesichter zu erkennen (Prosopagnosie) zusammen, weiß man heute: Die Gesichtserkennung selbst ist bei der Erkrankung ungestört.

Stattdessen fehlt oft die Verknüpfung zwischen dem Erkennen und den normalerweise dadurch ausgelösten emotionalen Körperreaktionen wie zum Beispiel der Veränderung des Hautwiderstands.

Letzterer gibt – wie beim Lügendetektortest – durch Schweißbildung und der daraus resultierenden erhöhten Hautleitfähigkeit an, ob jemand eine Person erkennt. Das Capgras-Syndrom gilt als relativ beständige Psychose, die unbehandelt jahrelang andauern kann.

Ursprung und Namensgeber des Capgras-Syndroms

Benannt wurde das Capgras-Syndrom nach dem französischen Psychiater Joseph Capgras (1873 bis 1950), der die psychotische Erkrankung erstmals dokumentierte. Er beschrieb damals den Fall einer Madame M., die anfangs nur ihren Ehemann nicht mehr erkannte, später andere Familienmitglieder und Nachbarn als Duplikate wahrnahm.

Sie gab an, die Menschen seien entführt und durch identische Doppelgänger ersetzt worden. Zudem glaubte sie, man wolle sie vergiften. Im Zuge dessen zog sie sich immer mehr zurück, schloss sich im Schlafzimmer ein und bat ihren Sohn schlussendlich um ein Gewehr.

Nach Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik diagnostizierte Joseph Capgras fünf Jahre später die Psychose. Im Folgenden wurde das Krankheitsbild nach ihm benannt und fortan als Capgras-Syndrom bezeichnet.

Behandlung des Capgras-Syndroms

Bei den Untersuchungen der Betroffenen werden selten körperliche Defizite oder andere Auffälligkeiten im Blut oder Gehirn festgestellt. Wie genau es zu den Wahnvorstellungen kommt, ist noch nicht abschließend geklärt: Die Ursachen, die zu der krankhaften Vorstellung führen, einen Doppelgänger vor sich zu haben, werden weiterhin erforscht.

Daher müssen Ärzte und Psychiater oftmals mehrere Medikamente in Kombination ausprobieren und abwarten, wie sich der Zustand der betroffenen Person entwickelt. Im Fall des elfjährigen Mädchens verabreichten die Ärzte zunächst das Neuroleptikum Risperidon, das starke Nebenwirkungen wie Schläfrigkeit, Gewichtszunahme und unkoordiniertes Verhalten der Gliedmaßen mit sich bringen kann.

Im Anschluss kombinierten sie es mit einem Antidepressivum. Der Medikamenten-Cocktail zeigte Wirkung: Die Ängste, Wahnvorstellungen und Depression, die das Capgras-Syndrom bei dem Mädchen hervorriefen, nahmen ab.

Quellen: