Bulimie: Wenn Abnehmen zur Sucht wird

Rund drei Millionen Deutsche leiden an Essstörungen. Bislang betraf es vor allem junge Frauen. Doch nun schlagen Experten Alarm: Denn immer öfter verfallen auch Frauen ab 30 dem Schlank-Wahn.
"Ja, ich war essgestört!" Mit dieser Beichte sorgte Gundis Zámbó für Schlagzeilen. Die Moderatorin litt 23 Jahre unter Bulimie. Wahllos stopfte sie Unmengen von Lebensmitteln in sich hinein, um sie danach wieder zu erbrechen. Für sie drehte sich alles nur noch ums Essen. "Ich war innen wie tot, hatte kein wahres Leben mehr."
Erstaunliche Bekenntnisse einer gestandenen, erfolgreichen, attraktiven Frau. Bislang galten Magersucht und Bulimie als klassische Teenager-Krankheiten. Inzwischen verfallen jedoch auch immer mehr Frauen ab 30 dem Schlank-Wahn: Geliebt wird nur, wer schön, sexy – und superschlank ist. Stars machen es vor: Victoria Beckham, und ein Strich in der Landschaft, gilt als Glamour-Girl und Stil-Ikone schlechthin. Bohlens Ex Nadja Abd El Farrag dementierte lange ihre Essstörungen. Und bei Hollywoodstar Angelina Jolie kann man direkt zusehen, wie sie immer dünner wird.
Frauen wollen ihre Jugend festhalten
"Unsere Welt ist heute extrem auf Jugendlichkeit fixiert. Mit einem schlanken Körper wollen die Frauen ihre Jugend festhalten", sagt die US-Psychologin Dr. Ellen Schor Haimoff. "Zusätzlich fürchten sie die bevorstehenden Wechseljahre, weil sich ihr Körper verändert, sie zunehmen. Und das können sie nicht kontrollieren. Also versuchen sie mit aller Gewalt, schlank zu bleiben."
Oft liegt schon ein langer Leidensweg hinter den Betroffenen. Viele fanden sich schon als Jugendliche immer zu dick, hielten extrem Diät, bis das Abnehmen zur Sucht wurde. "Die Patienten von damals werden zehn bis 20 Jahre später wieder Opfer", sagt die Psychologin Inge Mieck von "Cinderella", dem Münchner Aktionskreis Ess- und Magersucht.
Wie schwer es ist, der Schlank-Spirale zu entkommen, das erlebte auch Gundis Zámbó: "Ich glaubte mehrmals, ich hätte die Bulimie überwunden und habe das stolz verkündet. Aber ich wurde rückfällig." Warum sie in den Schlank-Strudel geriet? "Tief drinnen nagten Selbstzweifel. Die Angst, zu dick zu sein und deshalb nicht zu genügen. Ich habe mich 23 Jahre nicht geliebt."
Schon seit 30 Jahren kämpft Sabine L. (Name von der Redaktion geändert) gegen die Magersucht. "Während meiner Ausbildung zur Zahntechnikerin hat mich ein Kollege immer wieder sexuell belästigt. Es war einfach unerträglich. Damals wollte ich alles – nur nicht zur Frau werden", erzählt die Bremerin. Und sie schaffte es: Je weniger sie aß, desto weniger weibliche Formen zeigte ihr Körper.
Bulimiekranke können ihre Weiblichkeit nicht genießen
Drei Millionen Deutsche sind betroffen. In extremen Fällen der medizinisch Anorexie genannten Krankheit essen die Betroffenen tagelang gar nichts. Die meisten essen ein bisschen, aber auf jeden Fall viel weniger, als der Körper braucht. Sie haben panische Angst vor dem Zunehmen, Angst vor dem Essen und sehen sich dicker, als sie sind. Was ist Bulimie?
Typisch für Bulimie (Ess-Brech-Sucht) sind die Fressanfälle. Hinterher plagt die Betroffenen das schlechte Gewissen, und sie möchten durch Erbrechen, Abführmittel, extrem viel Sport oder Hungern alles rückgängig machen.
Wo gibt es Hilfe?
Infos und Hilfe gibt es bei der Beratungsstelle von "Cinderella", Tel.: 089 5021212.
Mit 22 kam sie das erste Mal in eine Klinik. "Danach ging es mir eine Zeit lang gut. Aber sobald ich wieder Stress hatte, aß ich kaum noch." Am meisten litt sie während ihrer beiden Schwangerschaften. "Weil ich meinen Körper plötzlich nicht mehr unter Kontrolle hatte." Kaum waren die Kinder abgestillt, holte sie die Magersucht wieder ein. Bis sie nur noch 49 Kilo wog – bei 1,72 m Größe. "Ich konnte nicht anders."
Vor allem eines erschwert den Ausstieg: das Schweigen. "Insbesondere Frauen über 35 trauen sich oft nicht zuzugeben, dass sie an einer Essstörung leiden. Weil man das in ihrem Alter nicht mehr tut", erklärt "Cinderella"-Psychologin Ingrid Mieck. In ihrem Aktionskreis gibt es mittlerweile drei "35plus"-Gruppen.
Für Gundis Zámbó war Schreiben die beste Therapie. In ihrem Buch hat sie ihren Leidensweg ungeschönt beschrieben: "Heute bin ich geheilt." Auch Sabine L. hat gelernt, offen über ihre Magersucht zu sprechen: "Ich fühle mich endlich gut, kann meine Weiblichkeit genießen." Aber sie weiß auch: Es ist eine Sucht, gegen die ich immer wieder kämpfen muss. Und das kann ich jetzt.