Blutgerinnsel im Kopf: Kann man einen Schlaganfall wegsaugen?
Ärzten aus Stuttgart ist eine medizinische Sensation gelungen: Sie entdeckten eine neue Schlaganfall-Therapie, bei der das Blutgerinnsel im Kopf herausgezogen wird.
Blutgerinnsel im Kopf – schnelles Handeln notwendig
Die Idee zu einer der spektakulärsten medizinischen Innovationen der letzten Jahre ist eigentlich einem Zufall zu verdanken. Ärzte am Klinikum Stuttgart behandelten eine Schlaganfall-Patientin, bei der ein großes Blutgerinnsel im Kopf die rechte mittlere Hirnarterie vollständig verschlossen hatte. Zwei Drittel der rechten Hirnhälfte wurden dadurch nicht mehr genügend durchblutet. Gerinnsel-auflösende Medikamente hatten bereits versagt, andere Verfahren standen in diesem Moment nicht zur Verfügung. Es ging um Minuten, in denen etwas passieren musste, um die Patientin vor einer schweren Behinderung oder gar dem Tod zu retten.

Professor Hans Henkes, Chefarzt der Stuttgarter Klinik für Neuroradiologie, entschloss sich in dieser ausweglosen Situation, mit einer neuartigen Methode gegen das Blutgerinnsel im Kopf und damit gegen den Schlaganfall vorzugehen: Von der Leistenschlagader der Patientin schob er einen Katheter bis in die verstopfte Hirnarterie vor. Direkt im Gerinnsel setzte er einen Stent frei, der sich wie ein kleiner Fangkorb selbstständig öffnet. Fünf Minuten lang warteten der Mediziner und sein Team. Dann war der Pfropfen vollständig in das Innere des Drahtkorbs gewandert. Langsam zog Professor Henkes das Instrument mit dem darin gefangenen Gerinnsel über den Zugang in der Leiste wieder heraus. Das Schlaganfall-Gerinnsel saß in dem Korb wie in einer Falle. Kontrastaufnahmen bestätigten, dass die zuvor verstopfte Hirnarterie wieder vollständig frei war und das Blut ungehindert durch die Hirngefäße zirkulieren konnte. Die Patientin selbst war nach dem Aufwachen frei von körperlichen Einschränkungen oder geistigen Folgeschäden.
Blutgerinnsel im Kopf: Wie Ärzte Schlaganfälle einfangen
Das Verfahren, das derzeit die Medizin revolutioniert, nennt sich mechanische Thrombektomie – und wird von Experten weltweit gefeiert. Auf einer Schlaganfall-Konferenz in New Orleans wurde eine Untersuchung vorgestellt, die ergab, dass die Methode bei mehr als 80 Prozent der Patienten Wirkung zeigt. In der medizinischen Praxis sehen die Zahlen sogar noch besser aus. Allein im Jahr 2011 haben Professor Henkes und sein Team mehr als 200 solcher Eingriffe durchgeführt: „In über 90 Prozent der Fälle konnten wir das verschlossene Gefäß wieder eröffnen.“ Einige der spektakulären Heilungen sind ihm und seinem Team besonders im Gedächtnis geblieben.
Professor Hansjörg Bäzner, Chefarztkollege von Professor Henkes, erinnert sich zum Beispiel an einen 30-jährigen Patienten, der einen schweren Schlaganfall erlitt. Sofort nach seiner Einlieferung wurde er mit der Thrombektomie behandelt. Am nächsten Tag lief er schon wieder ohne Hilfe über den Flur. „Wenn die Patienten frühzeitig behandelt werden, ist es möglich, dass sie anschließend symptomfrei aufwachen und sich wundern, warum sie noch im Krankenhaus sind“, bestätigt Professor René Chapot aus Essen. Mehrere solcher Schlaganfall-Fänger sind mittlerweile in deutschen Krankenhäusern offiziell zugelassen. Die Stents sind dabei meist keine Sonderanfertigung, sondern ohnehin in spezialisierten Kliniken vorhanden: Sie wurden ursprünglich zur Behandlung von Aussackungen der Hirngefäße entwickelt und eingesetzt. Es müssen allerdings bestimmte Voraussetzungen gegeben sein, damit sie sinnvoll bei einem Blutgerinnsel im Kopf verwendet werden können: So muss das Gerinnsel in einer großen Hirnarterie sitzen – in den kleineren Adern wäre der Einsatz des Katheters zu gefährlich. Doch gerade Patienten, bei denen große Gefäße verschlossen sind, hatten bisher schlechte Prognosen, denn wenn auflösende Medikamente nicht wirkten, gab es keine vergleichbar wirksame Möglichkeit, sie weiter zu behandeln. Bei der neuen Therapie steht dagegen sogar das Behandlungsfenster länger offen. Während auflösende Medikamente nur in den ersten viereinhalb Stunden nach dem Einsetzen der Symptome verabreicht werden können, sind die Stents unter Umständen auch noch nach sechs oder mehr Stunden von Nutzen.

Wie man ein Blutgerinnsel im Kopf hinter Gitter bringt
Bei einem Schlaganfall verstopft ein Blutpfropf ein Gefäß im Gehirn. Die Nervenzellen werden nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt, drohen abzusterben. Ärzte lösen das Gerinnsel normalerweise mit einem Medikament auf. Jetzt kann in solchen Fällen ein spezieller Stent eingesetzt werden, der über einen Katheter bis zum Gehirn geschoben wird.
Hier entfaltet sich der Stent – ein winziger Drahtkasten – und drückt das Blutgerinnsel im Kopf an die Gefäßwand. Das Gerinnsel wandert durch die Maschen des Stents in dessen Inneres. Sobald es in der Falle sitzt, wird es von den Ärzten mit dem Stent herausgezogen. Im besten Fall ist der Patient danach symptomfrei.