Blasenentzündung: Schmerzmittel statt Antibiotika
Eine neue Studie zeigt: Die meisten Harnwegsinfekte heilen von selber aus. Statt Antibiotika sollten darum zuerst nur Schmerzmittel genommen werden.
Der Erfolg der Antibiotika ist zugleich ihr Fluch. Nachdem Alexander Fleming 1928 mit Penicillin das erste Antibiotikum entdeckte, traten sie 15 Jahre später in den Lazaretten des Zweiten Weltkriegs ihren Siegeszug an und heilten bis damals tödliche Krankheiten wie zum Beispiel Blutvergiftungen oder Lungenentzündungen.
Antibiotikaresistente Bakterien
Danach gab es kein Halten mehr. Die Wunderpillen wurden gegen fast alles geschluckt und kommen bis heute in der Tierzucht massenhaft zum Einsatz – besonders seit sich zeigte, dass sie das Wachstum der Tiere beschleunigen.
Seit einigen Jahren zeigen sich jedoch die Schattenseiten dieses Erfolgs: Viele Antibiotika verlieren ihre Wirkung, da die Bakterien Resistenzen gegen sie entwickeln. Krankheiten, wie Tuberkulose, Gonorrhö oder Blutvergiftungen, die zumindest in Deutschland ihren Schrecken verloren hatten, kehren zurück. Politiker kämpfen jetzt darum, den Einsatz von Antibiotika zu verringern und Forscher suchen fieberhaft nach neuen Substanzen.
Hinzu kommt: Auch ganz konkret schaden unnötig eingenommene Antibiotika dem Körper. Denn sie belasten die sensible Darmflora. Deren Wert beim Schutz vor schweren Krankheiten wie Depressionen oder Demenz entdeckt die Wissenschaft gerade erst.
Antibiotika werden empfohlen
Umso wichtiger ist darum das Ergebnis einer Studie deutscher Wissenschaftler, die vor Kurzem in der britischen Fachzeitschrift The BMJ erschienen ist. „Ziel der Studie war es zu prüfen, ob bei unkomplizierten Harnwegsinfekten die Beschwerden allein mit einem Schmerzmittel behandelt werden können, während die Infektion von selbst abheilt“, sagt die Leiterin der Studie Dr. Ildikó Gágyor vom Institut für Allgemeinmedizin der Universitätsmedizin Göttingen. „Damit wollten wir auch zu einem rationalen Einsatz von Antibiotika beitragen.“ Denn: bislang empfehlen nationale und internationale Leitlinien für Ärzte bei der Diagnose „Blasenentzündung“ die sofortige Gabe eines Antibiotikums.
Um zu ihren Ergebnissen zu gelangen, untersuchten die Wissenschaftler 494 Frauen im Alter von 18-65 Jahren, die unter einem akuten Harnwegsinfekt litten. Berücksichtigt wurden ansonsten gesunde Frauen, die mit typischen Anzeichen eines Harnwegsinfekts wie zum Beispiel Brennen beim Wasserlassen ihren Hausarzt aufsuchten. Sie wurden per Zufall einer von zwei Behandlungsgruppen zugeteilt. Eine Gruppe erhielt sofort ein Antibiotikum. Die andere Gruppe bekam Ibuprofen. Zusätzlich wurden die Probanden noch mit Plazebos behandelt. Die Frauen wurden gebeten, sich bei anhaltenden oder zunehmenden Beschwerden wieder in der Praxis vorzustellen.
Harnwegsinfekte heilen ohne Antibiotika
Das Ergebnis: Rund zwei Drittel der Frauen im Ibuprofen-Arm wurde ohne Antibiotika und nur mit Schmerzmitteln wieder gesund. „Für sonst gesunde Frauen mit leichten bis mittelschweren Symptomen ist die symptomatische Behandlung häufig ausreichend und das Risiko von Komplikationen gering“, sagt Dr. Jutta Bleidorn von der Medizinischen Hochschule Hannover, die ebenfalls an der Studie beteiligt war.
Für die Wissenschaftler ist der nächste logische Schritt, diese Erkenntnis auch in die Leitlinien zur Behandlung einer Blasenentzündung zu integrieren. „Die Studienergebnisse stärken die Rolle der nicht antibiotischen Therapiemöglichkeiten für die betroffenen Patientinnen“, sagt Dr. Guido Schmiemann vom Institut für Public Health und Pflegeforschung der Universität Bremen, der Mitglied der nationalen Leitliniengruppe Harnwegsinfektionen ist. Das wäre aus doppelter Hinsicht sinnvoll: Es würde der Entwicklung weiterer resistenter Keime entgegenwirken und gleichzeitig die empfindliche Darmflora der Betroffenen schützen.
So entstehen antibiotikaresistente Bakterien
Je mehr Antibiotika in die Umwelt gelangen, desto trickreicher werden die Bakterien, um zu überleben. Wenn wir das Mittel falsch einnehmen oder es nicht exakt auf die Bakterien abgestimmt ist, tötet es nicht alle Keime ab - der hartnäckige Rest verändert sich oft so, dass das Medikament beim nächsten Mal schon weit weniger wirkt. Und zwar nicht nur bei uns: Über Ausscheidungen geben wir Antibiotika und Keime weiter - auch wenn wir längst schon wieder gesund sind. Auf Dauer können so Erreger entstehen, die auch den stärksten Arzneien trotzen.
So kritisieren Experten beispielsweise, dass Kinder viel zu häufig Antibiotika bekommen. Laut einer Untersuchung der Bertelsmann Stiftung nehmen jährlich fast 40 Prozent aller Kinder und Jugendlichen die starken Medikamente ein, bei den Drei- bis Sechsjährigen sind es sogar 50 Prozent. Dabei hat sich bei einigen typischen Kinderkrankheiten, etwa Mittelohrentzündung, gezeigt, dass sie mit Antibiotika nicht schneller genesen. „Solche unnötigen Verordnungen sind die Hauptgründe für das wachsende Problem der Resistenzbildung“, sagt Prof. Dr. Franz Daschner, Experte für Krankenhaus-Hygiene und emeritierter Professor der Universität Freiburg. Doch er weiß auch, dass die Patienten nicht ganz unschuldig an dem Problem sind. Viele verlangten ausdrücklich und vehement nach einem Antibiotikum, beklagen Ärzte immer wieder. Daschners Appell: „Erwarten Sie nicht unbedingt ein Rezept, und drängen Sie den Arzt nicht zu einem Antibiotikum - etwa weil Sie besonders schnell gesund und arbeitsfähig werden müssen.“