Axiale Spondyloarthritis – So ordnen Sie den chronischen Rückenschmerz richtig ein

Aus der Serie: Axiale Spondyloarthritis (entzündlicher Rückenschmerz)

Vor allem junge Frauen und Männer, die über Rückenschmerzen klagen, können von einer besonderen rheumatischen Erkrankung betroffen sein: der axialen Spondyloarthritis, einer chronischen Entzündung der Wirbelsäule. Unser Experte Prof. Joachim Sieper, Leiter für Rheumatologie an der Charité - Campus Benjamin Franklin, erklärt, warum die Diagnose so spät gestellt wird und wie sie sich von mechanisch bedingten Rückenschmerzen unterscheidet.

Herr Prof. Sieper, ein Stechen oder Ziehen im Rücken verspürt fast jeder Mensch hin und wieder. Wie lange dauert es, bis Patienten zum Arzt gehen?

Prof. Joachim Sieper
Prof. Sieper: "Betroffene Menschen sind häufig dadurch verunsichert, dass ihr Arzt die Ursache der dauerhaften Schmerzen nicht finden kann." Foto: privat

Häufig suchen Patienten, die an chronischen Rückenschmerzen leiden, innerhalb des ersten Jahres der Erkrankung einen Arzt auf. Aber nicht immer kennt sich dieser Arzt auch mit entzündlich bedingtem Rückenschmerz aus.

Wie lange dauert es in der Regel, bis Patienten eine Diagnose erhalten?

Bei Patienten, die an der axialen Spondyloarthritis leiden, vergehen leider immer noch 5 bis 10 Jahre zwischen dem ersten Auftreten der Symptome und der endgültigen Diagnosestellung.

Welche wesentlichen Symptome deuten auf die Erkrankung hin?

Im Vordergrund steht meistens der chronische Rückenschmerz. Die typischen Beschwerden sind Schmerzen im unteren Wirbelsäulenbereich, die hauptsächlich in den Morgenstunden auftreten. Diese Art von Symptom wird als Morgensteifigkeit bezeichnet. Die Schmerzen bessern sich dann im Laufe des Tages, sobald man in Bewegung kommt, und werden in Ruhephasen wieder schlimmer. Deswegen wachen Betroffene häufig in der zweiten Nachhälfte auf und müssen aufstehen und sich bewegen, um die nächtlich auftretenden Schmerzen zu lindern. Da es sich um eine systemische Erkrankung handelt, treten auch Symptome außerhalb der Wirbelsäule auf. Dazu zählen zum Beispiel die Regenbogenhautentzündung, dicke Kniegelenke oder Entzündungen der Fersen.

Was ist der Unterschied zwischen mechanisch und entzündlich bedingten Rückenschmerzen?

Unter mechanisch bedingten Rückenschmerzen versteht man unter anderem die Abnutzung der Wirbelsäule zum Beispiel als Folge von chronischen Bandscheibenschäden. Schmerzen treten hier vor allem bei Belastung auf und bessern sich in Ruhephasen. Im Unterschied dazu entsteht der entzündliche Rückenschmerz durch eine Entzündung in der Wirbelsäule und der Kreuz-Darmbein-Gelenke. Es handelt sich hierbei um eine rheumatische Erkrankung. Bisher ist die genaue Ursache der Entzündung nicht bekannt. Typisch ist die Morgensteifigkeit der Wirbelsäule, die erst durch Bewegung nachlässt.

Was sind die Gründe für die lange Zeit bis zur endgültigen Diagnosestellung?

Zum einen tritt der chronische Rückenschmerz so häufig auf, dass es für den behandelnden Arzt oft gar nicht in Frage kommt, die fünfprozentige Wahrscheinlichkeit einer Entzündung als Ursache zu erwägen. Zum anderen kann man eine Entzündung der Wirbelsäule nicht sehen. Im Gegensatz zu einer Arthritis der Hände, bei der die geschwollenen Fingergelenke typisch sind, weist die axiale Spondyloarthritis keine äußerlich sichtbaren Symptome auf. Bei einem Verdacht werden zur Diagnose Röntgen und Magnetresonanztomografie (MRT) eingesetzt. Das Röntgenbild erfasst die Knochenveränderungen jedoch nur dann, wenn sich die Wirbelsäulenstruktur durch eine Entzündung bereits verändert hat, also nicht im Frühstadium der Erkrankung. Ein unauffälliges Röntgenbild schließt diese Erkrankung folglich nicht aus.

Wie kann diese Situation grundlegend verbessert werden?

Die Situation kann durch die Aufklärung von Ärzten und Patienten über das Krankheitsbild der axialen Spondyloarthritis verbessert werden. In den letzten zehn Jahren wurden bereits in Deutschland und in anderen Ländern Fortbildungen für Rheumatologen veranstaltet, um das Krankheitsbild verständlicher zu machen. Die Fortbildungen dienen auch dazu, dass Ärzte bei bestimmten Symptomen alarmiert sind und die Patienten an Spezialisten überweisen. Außerdem wurde von einigen führenden Experten der sogenannte Symptom-Check entwickelt. Dieser besteht aus fünf Fragen und ist er einmal absolviert, geben die Ergebnisse sowohl Patienten als auch Ärzten Aufschluss darüber, ob der Rückenschmerz entzündlich bedingt sein könnte.

Hat die späte Diagnosestellung Folgen für die Patienten?

Betroffene Menschen sind häufig dadurch verunsichert, dass ihr Arzt die Ursache der dauerhaften Schmerzen nicht finden kann, wodurch die psychische Belastung der Patienten außerordentlich hoch ist. Zudem ist der Leidensweg der Betroffenen schmerzhaft und lang, wobei dies heutzutage durch eine konsequente, medikamentöse Therapie positiv beeinflussbar wäre. Und, umso später die Diagnose gestellt wird, desto wahrscheinlicher ist es, dass irreversible Schäden am Knochen schon aufgetreten sind, die Verknöcherung der Wirbelsäule bereits begonnen hat und die Beschwerden zunehmen.

Über wie viele Betroffene sprechen wir in Deutschland?

In Deutschland und anderen westeuropäischen Staaten gehen wir von einer Häufigkeit von 0,5 bis 0,8 Prozent für die Diagnose der axialen Spondyloarthritis aus.

Bitte beschreiben Sie die Gründe für Ihr starkes persönliches Engagement

In den letzten 15 Jahren haben meine Kollegen und ich uns sehr intensiv mit dem Krankheitsbild der axialen Spondyloarthritis beschäftigt. Wir haben die wichtigen Studien für die mittlerweile gut etablierte Therapie mit den TNF-alpha-Blockern begleitet und dazu beigetragen, dass diese Medikamente zugelassen wurden. Des Weiteren haben wir Kriterien entwickelt, welche helfen dieses Krankheitsbild eher zu erkennen, und zudem Projekte durchgeführt, um Orthopäden und Allgemeinärzte zu informieren. Denn diese sind maßgeblich an der Früherkennung der axialen Spondyloarthritis beteiligt. Als nächsten Schritt sollten nun zusätzlich die Öffentlichkeit sowie Betroffene in diesen Prozess mit einbezogen werden, um die Zeit bis zur Diagnosestellung weiter verkürzen zu können.

Im Interview: Prof. Joachim Sieper