Anosmie: Ein Leben ohne Geruchssinn

Eine Frau riecht an Kräutern
Anosmie – ein Leben ohne Geruch. Für knapp fünf Prozent der Bevölkerung ist das Realität Foto: Fotolia
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Anosmie nennen Ärzte den Verlust des Geruchssinns. Wie Anosmie entsteht und wie Betroffene mit Anosmie umgehen, lesen Sie hier.

Als ich Miriam Hahn* (56) in ihrer hellen Dachgeschosswohnung in Bremen besuche, bietet sie mir eine Tasse Kaffee an - und stellt Kuchen dazu, den sie, wie sie betont, nicht selbst gebacken hat. „Fürs Kochen und Backen bin ich nämlich eine grandiose Fehlbesetzung“, sagt sie. Sie meint das nicht ironisch. Sondern bitterernst.

Anosmie - die wichtigsten Fakten

Anosmie nennen Ärzte den Verlust des Geruchssinns, an dem in Deutschland etwa fünf Prozent der Bevölkerung leiden.

Auslöser können grippale Infekte, chronische Nasennebenhöhlenentzündungen, Allergien sowie unfallbedingte Schädel-Hirn-Traumata sein. Darüber hinaus kann Riechverlust auf Erkrankungen wie Parkinson und Alzheimer, aber auch auf Hirntumore hindeuten. Anosmie ist kaum heilbar, aber OPs können helfen.

Der plötzliche Verlust des Geruchssinns, etwa nach einer OP, kann sehr belastend sein - die Mutter von Entertainer Hape Kerkeling (50) bekam deshalb Depressionen und beging Suizid.

Es ist gar nicht so lange her, da besuchten sie spontan zwei Freunde. Aus Verzweiflung servierte sie ihnen eine Suppe mit Ingwer, weil sonst nichts im Haus war, und dann standen den Gästen Tränen in den Augen und sie begannen zu schwitzen. Miriam fand die Suppe okay. Aber sie findet es auch okay, löffelweise Chili zu essen. „Ich habe nämlich fast keinen Geschmack. Ich kann nichts riechen und auch nicht spüren, ob etwas salzig, sauer, bitter oder süß schmeckt.“

Anosmie – ein Leben ohne Geschmackssinn

Was für viele Menschen selbstverständlich zum Leben dazugehört - ein Glas Wein, dunkle Schokolade, backfrisch duftende Croissants am Morgen: Diese Genüsse sind Miriam fremd. Seit ihrer Geburt fehlt ihr der Geruchssinn – sie leidet unter Anosmie.

Anosmie
Für Betroffene von Anosmie ist der süßlich-frische Duft von Blumen genauso unbekannt wie alle anderen Gerüche Foto: iStock /Maya23K

Anosmie: Betroffene versuchen Krankheit zu verbergen

„Theoretisch könnte ich jeden Tag trockenes Toastbrot essen“, erklärt die Mutter von zwei erwachsenen Söhnen. Aus Angst, als behindert zu gelten, verbarg sie über 40 Jahre lang ihr Manko, das sie nur ihrem Mann und ihren Kindern gestand. Erst seit wenigen Jahren traut sich die Künstlerin, offen zu sagen, was ihr fehlt. Zu ihrem Erstaunen reagieren die Menschen neugierig. „Wie das ist, keinen Unterschied zwischen Wein oder Cola zu bemerken, können sich die wenigsten vorstellen. Weil ich es nicht anders kenne, leide ich auch nicht darunter“, so Miriam. Um die Anosmie zu verbergen, musste sie ihre schauspielerischen Talente nutzen. Bekam sie Parfüm geschenkt, bedankte sie sich und verschenkte es weiter.

Schwärmten Freunde von einem Dinner, war auch sie beeindruckt. „Einmal lobte ich die Gastgeberin für das geschmorte Huhn, dabei war es Fisch. Ihren entsetzten Blick vergesse ich nie“, sagt Miriam. Vor einigen Jahren, erinnert sie sich, wäre ihre Küche fast abgebrannt. Die Mikrowelle stand in Flammen, aber gerochen hat sie nichts. „Zum Glück ist nichts passiert.“ Am Ende meines Besuchs nimmt Miriam den Strauß Blumen in die Hand, den ich ihr mitgebracht habe. „Wie schön die sind“, sagt sie. Dass sie ihren Duft aufgrund ihrer Anosmie nicht wahrnehmen kann, trübt ihre Freude nicht.

Wie riechen wir eigentlich?
Wie riechen wir eigentlich?

Die Riechzellen sind mit feinsten Härchen (den sogenannten Zilien) ausgestattet. Erreichen Duftstoffe die Zilien, leiten die feinen Härchen die Information über die Fasern des Riechnervs an das Gehirn weiter. Anschließend werden die Informationen vom Riechkolben verarbeitet. So kann der Mensch mehr als 10 000 verschiedene Gerüche unterscheiden.

*Name von der Redaktion geändert