Angio-Ödem – Eine seltene aber gefährliche Erbkrankheit

Zahnarzt kann Angio Ödem erkennen
Bei Schwellungen im Mund kommt auch das sogenannte hereditäre Angio-Ödem als Ursache in frage Foto: Fotolia

Der Bauch wird dick und schmerzt. Der Hals schwillt plötzlich an – Erstickungsgefahr! Das Hereditäres Angio-Ödem (HAE) wird trotz heftiger Symptome oft jahrelang nicht erkannt.

„Wir haben die Hölle durchgemacht", sagt Franzi K. aus Cloppenburg. „Für die meisten Ärzte waren meine Mutter und ich Simulantinnen. Keiner konnte uns richtig helfen. Zum Schluss hielt man uns für psychisch gestört. Dabei waren wir richtig krank, hatten starke Schmerzen – und das immer wieder, tagelang." Schon als Kind klagt Daniela häufig über Bauchschmerzen. „Richtig zum Ausbruch kam die Krankheit kurz nach meinem 14. Geburtstag", erinnert sie sich. „Plötzlich wurde mein Bauch dick, der Magen krampfte, ich litt unter schlimmer Übelkeit."

Der Arzt spritzt ihr ein krampflösendes Mittel, aber es wirkt nicht. „Mir blieb nichts anderes übrig, als mich zu Hause mit der Wärmflasche auf die Couch zu legen und zu hoffen, dass die Attacke von selbst vorbeigeht", erklärt die 29-jährige Sozialpädagogin. „Die Einzige, die fühlte, wie ich litt, war meine Mutter." Mutter und Tochter verbindet das gleiche Schicksal: Auch Franzi K. leidet seit ihrem 17. Geburtstag unter ganz ähnlichen Beschwerden: Darmentzündung mit quälenden Schmerzen, Brechreiz. Sie tröstet ihre Tochter: „Nach fünf, sechs Tagen ist meist alles überstanden." Aber es dauert bei Daniela dann gut eine Woche!

Mit 18 hat Daniela fast alle zwei Wochen schlimme Darmbeschwerden. Deshalb wird im Kreiskrankenhaus sogar eine Bauch-Operation bei ihr gemacht, um die Ursache herauszufinden. Aber ohne Erfolg. Daniela: „Weil die Ärzte nicht mehr weiterwussten, schickten sie mich zum Psychiater. Für den war der Fall klar: Ich sei gar nicht richtig krank – ich würde mich nur zu sehr mit meiner Mutter identifizieren!"

Zahnarzt kann das "Hereditäres Angio-Ödem" erkennen

Erst ein Zufall bringt endlich die richtige Diagnose: Nach einer Zahnarztbehandlung kommt es kurz hintereinander bei der Mutter und auch bei der Tochter zu einer gefährlichen Schwellung im Mund – Erstickung droht. „Zum Glück sind der Zahnarzt und unser Hausarzt miteinander befreundet", erzählt Franzi. "Abends sprachen die beiden über unseren Fall – da kam dem Hausarzt ein Verdacht …" Schon am nächsten Tag wird eine Blutprobe von Mutter und Tochter an die Uniklinik Münster geschickt. Drei Tage später ist das Ergebnis da: Beide Frauen haben die Erbkrankheit „Hereditäres Angio-Ödem" (HAE).

„Die Krankheit wird durch einen Genfehler verursacht, der von Mutter oder Vater weitergegeben wird", erklärt der Arzt. „Durch den Defekt ist die Bildung eines Enzyms (C1Esterase-Inhibitor) gestört. Folge: Es kommt ohne Anlass zu Schwellungen (Ödemen) an den Gliedmaßen, im Gesicht, Kehlkopf oder Magen-Darm-Trakt. Auch Gehirn, Lunge und Nieren können betroffen sein!" Die Organe arbeiten wegen der Schwellung nicht mehr richtig. Das verursacht bei Daniela und Ursula die typischen Magen-Darm-Beschwerden. Ödeme im Kehlkopf können sogar zum Ersticken führen.

Therapie bei Ödemen

„Zum Glück gibt es eine neue Therapie, mit der wir die Beschwerden endlich in den Griff bekommen. Das Enzym, das unser Körper wegen des Gendefekts nicht produziert, wird injiziert", sagt Franzi. Jetzt fährt sie zu Beginn eines Anfalls in die Klinik oder zum Hausarzt, bekommt dann das Medikament in die Vene gespritzt. „Eine Ampulle habe ich aber auch immer zu Hause im Kühlschrank: Im Notfall kann ich mir das Enzym selbst spritzen. Für mich ist das noch aus einem anderen Grund wichtig: Leider hat auch meine kleine Tochter das Hereditäres Angio-Ödem. Durch das Enzym-Medikament kann ich ihr heute viel besser helfen als mir früher meine Mutter!"

Experten schätzen die Zahl der HAE-Patienten in Deutschland auf rund 5 000. Die Dunkelziffer ist hoch – vermutlich werden nur etwa zehn Prozent der Fälle erkannt. „Wichtigstes Kennzeichen der Krankheit sind die vorübergehenden Schwellungen", erklärt der HAE-Experte Privatdozent Dr. W. Kreuz, Universitätsklinik Frankfurt/M. "Die Ödeme treten vor allem an den Händen, Füßen, im Gesicht oder an den Atemwegen auf. Zusätzlich leiden die Patienten oft unter Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen, die durch die Schwellungen in der Darmschleimhaut verursacht werden." Das Problem: Durch das vorübergehende Auftreten ohne offensichtliche Ursache wird HAE oft nicht erkannt. "Deshalb sollten vor allem Kinder und Jugendliche, die häufig an schmerzlosen, nicht juckenden Schwellungen oder unter akuten Bauchschmerzen ohne erkennbare andere Ursache leiden, auf HAE untersucht werden", sagt Kinderarzt Dr. Kreuz. "Ganz charakteristisch ist, dass auch andere Familienmitglieder betroffen sind."