Allergie gegen alles

Allergien sind eine Überreaktion des Immunsystems. Bis heute können Wissenschaftler aber nicht genau erklären, wie sie entstehen, ob und wann sie ausbrechen oder warum

Pollen? Gräser? Hausstaub? Susanne Hilbert hat eine Allergie gegen alles. Wie lebt jemand, dem bereits ein Mückenstich zum Verhängnis werden kann?

Die Liste der Allergien ist lang

Wenn ich von Weitem sehe, dass jemand raucht, wechsle ich augenblicklich die Straßenseite. Nicht, weil ich denke, dass derjenige äußerst unsympathisch ist, oder weil ich eine strikte Gegnerin des Rauchens bin. Mein Problem ist ein ganz anderes: Ich bin allergisch gegen Rauch. Bereits wenige Rauchpartikel genügen, damit es für mich lebensbedrohlich wird. Und vor einer Verabredung bitte ich Männer und Frauen, kein Parfüm beziehungsweise Aftershave aufzutragen. Nicht, weil ich den Geruch nicht mag. Mir schnürt der Duft sofort die Kehle zu, und ich bekomme keine Luft mehr.

Ich wünschte, ich könnte an dieser Stelle aufhören, davon zu berichten gegen was ich alles eine Allergie habe.

Wie Allergien entstehen
Wie Allergien entstehen

Allergien sind eine Überreaktion des Immunsystems. Bis heute können Wissenschaftler aber nicht genau erklären, wie sie entstehen, ob und wann sie ausbrechen oder warum. Zudem sind nur vier Prozent aller Allergien vollständig heilbar. Daher kann es sein, dass Menschen wie Susanne Hilbert gegen Dutzende, sogar gegen Hunderte Stoffe allergisch sind - und im Lauf ihres Lebens immer weitere Allergien entwickeln.

Aber die Liste ist noch ewig lang. Denn ich habe eine Allergie gegen alles. Und das Schlimmste daran: Jedesmal wenn ich mit einem Allergen konfrontiert werde, ist die Reaktion beim nächsten Mal umso schlimmer. Sogar die Allergologen sagen, dass ich eine Ausnahme unter Allergikern bin.

Schon als Kind spürte ich, dass ich auf Kleinigkeiten überempfindlich reagiere, machte mir aber nichts weiter daraus. Wenn ich beim Camping von Mücken gestochen wurde, hatte ich ständig das Gefühl, auf die Toilette zu müssen. Doch das schob ich auf meine schwache Blase. Mein Umfeld fand das meistens sogar eher lustig als besorgniserregend. Doch vor 15 Jahren änderte ein Vorfall mein Leben. Schon damals fand ich Gartenarbeit sehr entspannend: Kräuterbeete zu pflegen, die Rosen zu schneiden.

Hobby wird fast zum Verhängnis

Eine Biene sticht mich in den Arm. Außer einem pochenden Schmerz spüre ich zunächst nichts. Einige Stunden später aber fühle ich mich ziemlich schlapp und lege mich ins Bett. Ich wohne alleine. Als ich wieder aufwache, dröhnt mein Kopf, die Glieder schmerzen. Ich bin fest davon überzeugt, eine Grippe zu haben und schleppe mich zu einem Arzt. Erst dort fällt mir auf, dass ich drei Tage lang nahezu ohnmächtig in meinem Bett gelegen habe! Die Diagnose des Arztes: Mein ganzes Immunsystem hat sich komplett verändert. Und Bienen- oder Mückenstiche werden ab sofort das kleinste Übel sein.

Ein Bienenstich als tödliche Bedrohung
Da Susanne unter einer Allergie gegen alles leidet, kann ein Stich des Insekts zur tödlichen Gefahr werden Foto: iStock

Immunsystem komplett verändert

Mittlerweile bin ich sogar gegen Metalle, Zusatz- und Konservierungsstoffe und einige Gewürze allergisch. Mein Speiseplan beschränkt sich somit auf das Nötigste und das Gemüse aus meinem Garten. Ich habe gelernt, im Supermarkt akribisch auf die Produktbeschreibungen zu achten. Sollte ich jedoch mal etwas überlesen, drohen mir brennende Hautausschläge, Halluzinationen und Ohnmachtsanfälle – kurz gesagt, extreme Schockreaktionen, die im Ernstfall tödlich enden können. Und das Risiko möchte ich nur ungern eingehen.

Genüsslich zum Abendessen einen Schluck Wein trinken? Kann ich komplett vergessen. Durch Alkohol und Alkaloide (etwa Formaldehyd) werde ich von der einen auf die andere Minute komplett betäubt und habe tagelang unglaubliche Kopfschmerzen. Das bedeutet auch, dass ich keine herkömmlichen Toilettenartikel, Kosmetikprodukte sowie Reinigungsmittel benutzen darf. Mittlerweile erzähle ich Leuten meist gleich, gegen was ich keine Allergie habe. Die Liste ist wesentlich kürzer.

Allergie gegen Kosmetikprodukte
Aufgrund ihrer Allergie gegen alles darf Susanne keine herkömmlichen Kosmetikprodukte, Toilettenartikel sowie Reinigungsmittel benutzen Foto: istock

Erste Hilfe mit dem Epi-Pen

Die Ärzte haben mir einen sogenannten Epi-Pen verschrieben. Das ist eine Art Einwegspritze, die eine Dosis Adrenalin enthält. Das Hormon schwächt die Reaktionen meines Körpers weit genug ab, um sie unter Kontrolle zu halten, bis ich einen Arzt erreiche. Es ist zumindest ein Versuch, der mir bis jetzt aber noch nicht viel gebracht hat. Gerade das letzte Jahr war für mich eines der schlimmsten. Denn mein Immunsystem entwickelt ständig weitere Allergien – jedoch verschwindet keine über die Jahre. Probleme bereiten mir neuerdings auch Deosprays, Hunde, Pferde, Gräser, mein eigener Schweiß. Weshalb ich körperliche Anstrengungen vollständig vermeide. Fünfmal wäre ich beinahe an einem allergischen Schock gestorben.

Allergie gegen alles – die Reaktionen fremder Menschen sind verletzend

Mittlerweile habe ich zumindest physisch gelernt, mit meiner Allergie gegen alles klarzukommen. Nur die Reaktionen fremder Menschen sind noch immer sehr verletzend. Deshalb bleibe ich meist zu Hause. Es ist schrecklich, immer wieder erklären zu müssen, warum ich auf Partys nichts esse oder trinke. Zum Glück habe ich einige enge Freunde, die sich jedes Mal rührend um mich kümmern und wie meine Bodyguards um mich herumstehen. Doch manchmal fühle ich mich wie ein kleines Kind, das beaufsichtigt werden muss. Aber das ist leider die traurige Wahrheit.

Gräser-Allergie
Susannes Immunsystem entwickelt ständig weitere Allergien – jedoch verschwindet keine über die Jahre. Probleme bereiten ihr auch Gräser, Hunde, Pferde... Foto: istock

Obwohl ich eine Allergie gegen alles habe, bin ich glücklich

Ich bin 40 Jahre alt und Single. Ich denke, das ist auch besser so. Meine Allergie gegen alles hat nicht unbedingt dazu geführt, dass ich den Glauben an die große Liebe verloren habe – zumindest möchte ich das glauben. Ich habe einen geregelten Tagesablauf und kann von zu Hause aus arbeiten. Ich bin glücklich mit meinem Leben. Auch wenn es sehr eingeschränkt ist, habe ich neue Perspektiven entdeckt, die ich vorher nicht gesehen habe. Ich meditiere seit einiger Zeit und habe meine innere Ruhe gefunden. Ich habe die Schönheit eines stillen, abgelegenen Flusses schätzen gelernt. Wenn ich meinen Kopf nachts aus dem Fenster halte, um die kristallklare Luft einzuatmen, ist es für mich ein Moment des vollkommenen Glücks. Ich habe gar keine Alternative, als einfach nur glücklich zu sein mit meinem Leben.