Alexithymie: Leben ohne Gefühle

Freude, Hass oder Wut – Menschen mit einer sogenannten Alexithymie (umgangssprachlich Gefühlsblindheit) können mit diesen Begriffen nichts anfangen. Betroffene haben wohl körperliche Regungen wie Herzklopfen, sind jedoch nicht in der Lage, diesen Regungen Emotionen zuzuschreiben.

Eine Frau sitzt im Zug und schaut aus dem Fenster
Menschen mit Alexithymie können ihre eigenen Gefühle nicht als solche erkennen Foto: iStock/serts
Was ist Alexithymie?

Der Begriff Alexithymie setzt sich aus den griechischen Worten a- (nicht), he léxis (Rede/Wort) und ho thymós (Gemüt) zusammen. Auf Deutsch bedeutet es so viel wie das Nicht-Lesen-Können von Gefühlen. Die Alexithymie ist kein seltenes Phänomen: Expertenschätzungen zufolge leidet mindestens jeder Zehnte an dieser Form der Gefühlskälte – in unterschiedlich starker Ausprägung. Bei der Alexithymie handelt es sich nicht um eine Störung, sondern um ein Persönlichkeitsmerkmal. Allerdings haben „Alexithyme“ ein erhöhtes Risiko, psychische Erkrankungen zu entwickeln.

Körperliche Beschwerden als Symptom der Gefühlsblindheit

Menschen mit Alexithymie erkranken häufig an Depressionen. Eine weitere Begleiterscheinung, die bei vielen Betroffenen auftritt: Sie leiden an chronischen Beschwerden wie Herzklopfen, Bauchschmerzen oder Übelkeit, für die auch nach zahllosen Untersuchungen keine Erklärung gefunden werden kann. Aus Sicht von Psychologen handelt es sich dabei schlicht um den körperlichen Ausdruck von Emotionen: Ärger kann von Bauchschmerzen, Angst von Herzklopfen begleitet werden.

Im Klartext heißt das: Rast bei einem Betroffenen der Puls oder klopft das Herz bis zum Hals, dann denkt er nicht an Aufregung oder Ärger. Er deutet die Symptome vielmehr als Anzeichen einer Erkrankung und geht zum Arzt – der aber nichts entdecken kann.

Gefühlskalt und wortkarg: Anzeichen von Alexithymie

Alexithyme wirken häufig steif und gefühlskalt, ihre Mimik ist kaum ausgeprägt. Experten beschreiben ihren Erzählstil als langweilig und fantasielos. Typisch sind außerdem kurze Antworten und das sparsame Verwenden von Adjektiven.

Betroffene können ihre eigenen Gefühle nicht benennen und haben Schwierigkeiten, Emotionen bei anderen zu erkennen und angemessen zu reagieren. Das kann vor allem in Partnerschaften zum Problem werden, wenn sich der Partner nicht verstanden fühlt und den Alexithymen als gefühlskalt und herzlos wahrnimmt.

Psychologen nutzen zur Diagnose der Alexithymie die sogenannte Toronto-Alexithymie-Skala. Dabei müssen Betroffene auf einer Skala von eins bis fünf einstufen, wie sehr bestimmte Aussagen auf sie zutreffen – darunter Aussagen zu ihrer Fähigkeit, Gefühle zu erkennen oder sich Dinge vorzustellen.

Was sind die Ursachen der Alexithymie?

In einem mehrjährigen Forschungsprojekt untersuchten Forscher der Freien Universität Berlin, welche Faktoren bei der Entstehung der Alexithymie eine Rolle spielen. Dabei stellten sie fest: Alexithyme haben im Schnitt einen niedrigeren morgendlichen Spiegel des Stresshormons Cortisol als Menschen ohne Alexithymie.

Das könnte eine Schutzreaktion des Körpers sein, vermuten die Berliner Forscher. Denn Menschen mit Alexithymie geben auffällig häufig an, in ihrer Kindheit emotional vernachlässigt worden zu sein. Aus Sicht der Forscher drosselt der Körper die Cortisolproduktion, um sich vor dem so verursachten emotionalen Stress zu schützen.

Die Berliner Forscher fanden außerdem heraus: Obwohl Alexithyme kaum Mimik haben, gestikulieren sie deutlich ausgeprägter als Menschen ohne Alexithymie, wenn sie über emotionale Themen sprechen. Warum das so ist, konnte bisher nicht abschließend geklärt werden.

Psychotherapie bei Alexithymie

Eine Psychotherapie kann Betroffenen helfen, eigene Gefühle und die ihrer Mitmenschen besser zu erkennen, zu benennen und angemessen mit ihnen umzugehen. In der Therapie lernt der Betroffene zum Beispiel konkret, wie sich Emotionen wie Angst, Wut und Freude in körperlichen Symptomen wie Bauchschmerzen oder Herzklopfen äußern können.   Unter www.alexithymie.com finden Interessierte einen Selbsttest und ein Forum, in dem sich Betroffene und Angehörige austauschen können. 

Quellen: Aust, Sabine, et al. (2013): The role of early emotional neglect in alexithymia, in: Psychological trauma: theory, research, practice, and policy.

Härtwig, E. A., .Aust, S. and Heuser, I. (2013): HPA system activity in alexithymia: a cortisol awakening response study, in: Psychoneuroendocrinology.

Verlorene Emotionen, in: fu-berlin.de