ADHS und Autismus: 7 Symptome, die auf beides hindeuten

ADHS und Autismus haben trotz offensichtlicher Unterschiede zahlreiche gemeinsame Symptome. Die beiden Störungen können sogar gleichzeitig auftreten – und das passiert gar nicht so selten.

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ADHS kann den Alltag zu einer ziemlichen Herausforderung machen – und dasselbe gilt für Autismus. Treten ADHS und Autismus zusammen auf, kann das die Sache noch etwas komplizierter machen; vor allem, weil es dann oft länger dauert, bis die (vollständige) Diagnose gestellt wird.

Eine Frau sitzt vorm Computer und hält sich den Kopf
Betroffene beider Störungen leiden häufig an Reizüberflutung Foto: iStock/FG Trade

Autismus und ADHS gleichzeitig: Keine seltene Kombination

Autismus und ADHS gehören zu den sogenannten neuronalen Entwicklungsstörungen und manifestieren sich bereits in der Kindheit. Genauso wenig wie hinter ADHS Erziehungsfehler stecken, sind autistische Kinder einfach „schlecht erzogen“. Stattdessen liegen bei beiden Störungsbildern neuronale Besonderheiten vor: Das Gehirn der Betroffenen funktioniert etwas anders als bei Nichtbetroffenen. Beide Begriffe beschreiben jeweils ein Spektrum eines Störungsbildes – bei beiden gibt es schwache bis sehr starke Ausprägungen.

Expert:innen gehen davon aus, dass etwa die Hälfte aller Menschen mit hochfunktionalem Autismus (vormals als Asperger-Autismus bezeichnet) zusätzlich an ADHS leidet; je nach Quelle können diese Zahlen stark schwanken. Das häufige gemeinsame Auftreten der beiden Störungen ist wahrscheinlich in erblichen Faktoren begründet. Es gibt Überschneidungen in den genetischen Varianten, die für Autismus und ADHS zuständig sind; und beide Störungen haben ihre Ursache hauptsächlich in den Genen.

Autismus und ADHS: Beide machen den Betroffenen „das Leben schwer“

Beiden Störungen gemeinsam ist, dass es Betroffene im Allgemeinen schwerer haben als andere, im Alltag zurechtzukommen. Sei es, dass es ihnen schwerfällt, ihren Haushalt zu führen, sich auf ihre Aufgabe im Job zu konzentrieren und private Termine im Auge zu behalten oder, dass sie nicht intuitiv spüren, wann sie sich in einem Meeting zu Wort melden sollten, wann sie ihre Meinung äußern können und wann sie diese besser für sich behalten sollten oder wie sie Freundschaften schließen und aufrechterhalten können. Für Betroffene beider Störungen ist der normale Alltag häufig deutlich herausfordernder als für Menschen ohne diese Störungen, weil es für sie ständiger Anstrengungen bedarf, sich durch Job und Privatleben hindurch zu „manövrieren“ und dabei möglichst wenig anzuecken.

ADHS und Autismus: Diese Symptome sind typisch für beides

Die Hauptsymptome von ADHS sind Konzentrationsstörungen, Hyperaktivität und eine ausgeprägte Impulsivität. Für Autismus ist vor allem das fehlende Verständnis für soziale Verhaltensregeln charakteristisch. ADHS und Autismus machen sich teilweise aber auch durch ähnliche Symptome bemerkbar – auch, wenn diese häufig auf unterschiedliche Weise zustande kommen. Diese Anzeichen können sowohl auf ADHS als auch auf Autismus hinweisen:

  1. Überreizung/Overload: ADHS-Betroffene haben Schwierigkeiten, bei all den Reizen und Informationen, die auf ihr Gehirn einströmen, zwischen wichtig und unwichtig zu unterscheiden; das ist den neuronalen Besonderheiten in ihrem Gehirn geschuldet. Bei Autist:innen liegt sehr häufig eine Überempfindlichkeit gegenüber Geräuschen, Gerüchen, taktilen Reizen (beispielsweise rauen Stoffen auf der Haut) und Geschmack oder Licht vor. Im Ergebnis können diese Phänomene beide schnell zu einer Reizüberflutung oder einem sogenannten Overload führen. Besonders bei Autismus kann das in extremen Überreizungszuständen gipfeln, bei denen die Betroffenen das dringende Bedürfnis haben, sich in eine reizarme Umgebung zurückzuziehen. Ist das nicht möglich, können sie aggressiv und verzweifelt reagieren, die Flucht ergreifen oder sich verstecken.

  2. Ruhelosigkeit: Bei Betroffenen beider Störungen kann es dazu kommen, dass sie in ständiger Bewegung sind und auf ihr Umfeld eine starke Ruhelosigkeit ausstrahlen. Während ADHS-Betroffene aber aufgrund ihrer Hyperaktivität „zappelig“ sind, neigen Autist:innen eher zu repetitiven Bewegungen in dem Versuch, sich selbst zu beruhigen.

  3. Begeisterungsfähigkeit: Sowohl Personen mit Autismus als auch mit ADHS sind extrem begeisterungsfähig. Während Autist:innen in der Regel aber ein bis zwei Spezialthemen haben, für die sie sich über lange Zeit (teils ihr ganzes Leben lang) engagiert und detailliert interessieren und mit denen sie sich problemlos ganze Tage beschäftigen können (z.B. spezielle Wissenschaftsfelder, bestimmte Gegenstände, Spiele, Listen oder Pläne), hält die Begeisterung bei ADHS-ler:innen typischerweise weniger lang an und nach einer kurzen intensiven Phase der Begeisterung und das Engagements „springen“ sie zum nächsten Thema. Menschen mit ADHS können sich kaum entscheiden, welche der vielen tollen Dinge auf der Welt sie zurzeit am meisten interessieren; Autist:innen nutzen ihre Spezialinteressen eher dazu, den Rest der Welt mit all seinen Reizen „auszuschließen“ und so in ihren bekannten und vorhersehbaren Themenbereichen zu mehr Ruhe zu gelangen.

  4. Schwierigkeiten beim Organisieren und Strukturieren: Sowohl Menschen mit ADHS als auch mit Autismus kann es schwerfallen, sich mit Dingen zu beschäftigen, die nicht in ihrem persönlichen Interessensfeld liegen. Bei beiden kann es darum passieren, dass sie beispielsweise vergessen, einzukaufen und Mahlzeiten zu planen und vorzubereiten. Während es Personen mit Autismus dann aber sehr hilft, sich beispielsweise mithilfe von To-do-Listen den Alltag zu strukturieren, führt das bei Menschen mit ADHS häufig eher dazu, dass sie sich im Listenschreiben verzetteln und so ein noch größeres Chaos herbeiführen.

  5. Wutausbrüche: Wutausbrüche können bei beiden Störungsbildern vermehrt auftreten. Während diese bei ADHS aber eher der Impulsivität und dem für die Störung typischen Jähzorn geschuldet sind, werden sie bei Autismus häufig durch Überreizung oder durch die Abweichung von Regeln und Routinen verursacht. Aufgrund der Impulsivität kann zudem ADHS mit Borderline verwechselt werden.

  6. Kaum zu bremsender Redefluss: Autist:innen neigen dazu, über ihre Lieblings- und Spezialthemen zu monologisieren, auch, wenn das Gegenüber deutliches Desinteresse signalisiert. Menschen mit ADHS neigen ebenfalls zu „Redeschwallen“, unbeeindruckt von Ermüdungsanzeichen der Gesprächspartner:innen; allerdings aus einem anderen Grund. Während Autist:innen schlichtweg nicht in der Lage sind, die Signale des Desinteresses zu entschlüsseln, wären ADHS-Betroffene dazu durchaus in der Lage. Es ist stattdessen ihrer Unaufmerksamkeit und Impulsivität geschuldet, dass sie die Signale entweder nicht bemerken oder missachten, weil sie es nicht schaffen, sich selbst zu „zügeln“.

  7. Schwierigkeiten im Sozialleben: Autist:innen haben sehr häufig Probleme im sozialen Miteinander, weil sie soziale „Spielregeln“ nicht verinnerlicht haben. Menschen mit ADHS können auch häufig anecken – beispielsweise, weil sie andere mit ihrem Redefluss und Aktionismus „überrumpeln“ und unterbrechen, sprunghaft sind und zu wenig Interesse an Meinungsbeiträgen ihrer Mitmenschen zeigen.

ADHS oder Autismus? Abgrenzung manchmal schwierig

Aufgrund der Überschneidung in der Symptomatik der beiden Störungsbilder kann die Abgrenzung bei der Diagnostik manchmal schwierig sein. Allerdings gibt es auch Symptome, die relativ spezifisch für eine der beiden Störungen sind. Diese geben dann Hinweise darauf, welche Diagnose die richtige ist.

ADHS-ler:innen fällt es zum Beispiel typischerweise extrem schwer, sich für längere Zeit auf eine Aufgabe zu konzentrieren und diese zu beenden, wenn ihr persönliches Interesse daran eher gering ist. Sie werden ständig von äußeren Reizen und ihrer inneren Gedankenwelt abgelenkt und schaffen es kaum, gedanklich bei der Sache zu bleiben. Autist:innen werden zwar auch häufig von äußeren Reizen wie Geräuschen oder Gerüchen abgelenkt. Während sie diese Reize aber als störend und irritierend empfinden und eher gewillt sind, sich wieder ihrer Aufgabe zu widmen, sind die äußeren Ablenkungen für Menschen mit ADHS oft willkommen, um sich nicht mit der uninteressanten Aufgabe beschäftigen zu müssen.

Personen mit ADHS arbeiten häufig schludrig und machen häufige Flüchtigkeitsfehler. Autist:innen arbeiten dagegen detailverliebt und verlieren dabei oft das große Ganze aus den Augen, sodass das Endprodukt zwar im Detail brillant sein kann, im Ganzen aber mitunter nicht schlüssig oder verständlich ist. Routineaufgaben beruhigen viele Autist:innen, während sie ADHS-Betroffene langweilen und es für sie einer großen Überwindung bedarf, sie anzugehen.

Für Autist:innen kann es dagegen extremen Stress bedeuten, wenn sie gezwungen sind, von ihrer täglichen Routine abzuweichen. Häufig sind sie außerdem sehr geräusch- und geruchsempfindlich und unter anderem auch darum schnell sensorisch überlastet. Anders als Nicht-Autist:innen sind sie nicht in der Lage, Regeln des sozialen Miteinanders und der nonverbalen Kommunikation intuitiv zu verstehen und anzuwenden. Alles, was sie über diese Dinge wissen, haben sie sich bei anderen abgeschaut und mühsam auswendig gelernt. Während Menschen mit ADHS oft sehr spontan und abenteuerlustig sind, sind soziale Zusammenkünfte und Unternehmungen für Autist:innen darum in der Regel mit großen psychischen Anstrengungen verbunden.

ADHS-Asperger-Kombination bei Erwachsenen: Symptom-Mix ist typisch

Da gerade bei Menschen mit hochfunktionalem Autismus häufig zusätzlich eine ADHS vorliegt, kann natürlich auch eine bunte Mischung an Symptomen vorkommen, die so individuell ist wie die Betroffenen selbst. Eine Person mit ADHS, die ohnehin darunter leidet, schnell durch äußere Eindrücke abgelenkt zu werden, kann durch ihren Autismus zusätzlich einen besonders stark ausgeprägten Gehör- oder Geruchssinn haben. Geräusche und Gerüche, die andere vielleicht gar nicht wahrnehmen, können diese Person derart ablenken, dass an konzentriertes Arbeiten gar nicht mehr zu denken ist. Zudem kann sie deutlich extremer auf eine Reizüberflutung reagieren als Leidensgenoss:innen, die ausschließlich an ADHS leiden.

Autismus und ADHS bei Frauen

Autismus bei Frauen und Mädchen zeigt sich häufig etwas anders als bei männlichen Leidensgenossen. Genauso verhält es sich auch mit ADHS bei Frauen. Denn Frauen neigen mehr dazu, sich ihrem Umfeld anzupassen, und nehmen dafür teils enorme Anstrengungen in Kauf.

Paradoxerweise gereicht ihnen diese mühevolle Anpassung oft zum Nachteil: Denn erstens erhalten sie ihre Diagnose oft sehr spät oder gar nicht; und damit bekommen sie weder eine passende Therapie, noch das nötige Verständnis aus ihrem Umfeld. Zweitens sind die ständigen Anpassungsleistungen derart kräftezehrend, dass die betroffenen Frauen diese nicht selten mit Erschöpfung und Zusammenbrüchen bezahlen.

Autismus und ADHS: Feste Tagesstruktur hilft im Alltag

Der Ratschlag, der wohl sowohl Menschen mit ADHS als auch solchen mit Autismus oder beiden Störungen am meisten hilft, ihren Alltag besser zu bewerkstelligen, lautet: Routine und Struktur in den Tagesablauf bringen. Während eine feste Tagesstruktur Autist:innen Ruhe und Sicherheit vermittelt, hilft sie ADHS-Betroffenen dabei, die notwendigen Tätigkeiten, die am Tag neben all dem Interessanten und Ablenkenden anfallen, nicht aus dem Blick zu verlieren und zu erledigen.

Zusätzlich ist es immer eine gute Idee, sich Hilfe und Unterstützung zu suchen – beispielsweise von Therapeut:innen, aber auch von Familienangehörigen und Freund:innen. Je mehr Menschen im persönlichen Umfeld über die Diagnose informiert sind, auf desto mehr Rücksicht und Unterstützung können Betroffene hoffen. Und mit einem verständnisvollen Umfeld beeinträchtigen ADHS und Autismus die Lebensqualität in der Regel deutlich weniger.

Quellen:

ADHS und Hochfunktionale Autismus-Spektrum-Störungen, in: thieme-connect.com

Banaschewski, T., L. Poustka, and M. Holtmann. (2011): Autism and ADHD across the life span: differential diagnoses or comorbidity?, in: Der Nervenarzt

Empfehlung:

Sehenswertes Video eines (von Autismus) Betroffenen zum Thema ADHS und Autismus, in: youtube.com