ADHS: Leben ohne Pillen

Zu großer Bewegungsdrang, zu wenig Konzentration: Eine Pille stellte Richard ruhig, zu ruhig. Was dem hyperaktiven Jungen wirklich half und welche Gefahren ADHS-Medikamente bergen, lesen Sie hier.
„Mami, ich habe heute eine Zwei für mein Referat bekommen“, ruft Richard (11)* schon in der Eingangstür und strahlt seine Mutter an. Kerstin nimmt ihren Schatz in den Arm und gibt ihm einen Kuss. „Ich bin so glücklich darüber, dass Richard wieder Spaß am Lernen hat – ganz ohne Pillen“, sagt die Lehrerin. Richard hat wie 600 000 andere Kinder in Deutschland ADHS, in der Fachsprache Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom genannt. Das ist eine psychische Störung, bei der die Erkrankten sich nur schwer konzentrieren können, sehr impulsiv und hyperaktiv sind. Die Krankheit beginnt im frühen Kindesalter zwischen drei und fünf Jahren, wird aber oft erst in der Schule erkannt. So wie bei Richard. „Mit drei Jahren hatte er einen unglaublichen Bewegungsdrang. Ständig animierte er die älteren Kinder im Kindergarten zu wildem Toben. Er wurde nie müde und brachte seine Erzieherinnen oft zur Verzweiflung“, erinnert sich die Mutter. Die macht sich keine Sorgen. „Kinder sollen sich austoben.“
Bereits die erste ADHS-Pille schlägt an
Doch dann wird Richards Lebhaftigkeit in der Schule zum Problem: Er hat keine Lust, der Lehrerin zu folgen. Es fällt ihm schwer, im Unterricht still zu sitzen, er stört. „Richard brachte fast täglich Ermahnungen mit nach Hause. Die Lehrer beschwerten sich über sein Verhalten.“ Und Kerstin versucht mit Gesprächen, Verboten und Strafen, Richard zur Räson zu bringen. Vergebens. Schließlich sucht Kerstin Hilfe beim Kinderarzt. Der stellt ADHS fest, verschreibt dreimal täglich eine Tablette Ritalin. Und tatsächlich. Schon die erste Pille schlägt an. Richard ist sofort ruhiger und erledigt bereitwillig alle Aufgaben. Auch seine Noten verbessern sich schlagartig. Trotzdem ist Mutter Kerstin besorgt: „Richard hatte sich verändert. Er gehorchte zwar, erledigte alle Aufgaben – aber lustlos. Nichts machte ihm mehr Freude. Er benahm sich wie ein Roboter. Das war nicht mehr mein Junge.“
„Kein Weg führt an dem ADHS-Medikament vorbei“
Kerstin lässt in einer Kinderklinik prüfen, ob es ohne Ritalin geht. Die Diagnose ist hart: „Will ich ein Kind, das brav ist und gut in der Schule, führt kein Weg an der Pille vorbei. Ohne Medikament hat Richard zwar mehr Freude, wird aber wieder rebellisch und zappelig.“ Die Entscheidung fällt den Eltern Kerstin und Thorsten schwer. Immer wieder stellten sie sich die gleichen Fragen: „Was ist wichtiger, Gehorsam, Anpassung, gute Noten? Oder ist die Lebensfreude von Richard nicht viel wertvoller?“
Auf einer Alm lernen Kinder, ohne ADHS-Medikamente zu leben
Da hörte Kerstin von ihrem Kinderspychologen von einem einzigartigen Experiment: Auf einer Südtiroler Alm sollen elf Jungen mit der Diagnose ADHS acht Wochen lang lernen, ohne Medikamente zu leben. Der Göttinger Neurobiologe Gerald Hüther hat dieses Projekt angeschoben und betreut dort mit anderen Psychologen die Kinder. Kosten: 2000 Euro. „Viel Geld. Aber eine Chance für Richard!“, entschieden die Eltern. Und tatsächlich: „Richard kam wie ausgewechselt zurück. Seine Begeisterung war wieder da. Er wirkte ausgeglichen, konnte sich auf gestellte Aufgaben konzentrieren. Und hatte Lust auf die Schule! Auch ohne Tabletten!“ Unglaublich. Wie ist das möglich? Kerstin und Thorsten erfuhren: „Auf der Alm gab es kein Fernsehen, keinen Computer und keine Süßigkeiten. Dafür bekamen die Kinder feste Aufgaben wie Tiere versorgen, Unterkünfte sauber halten. Klare Regeln bestimmten den Alltag. Ein Verstoß hatte Konsequenzen. Und ein Nein blieb ein Nein, trotz Tränen!“
Trotz ADHS braucht Richard keine Medikamente
Zuwendung und feste Regeln sind die Maßnahmen, damit es auch ohne ADHS-Medikamente funktioniert. Richard hat es geschafft. Kerstin: „Auch wir haben Regeln eingeführt. Fernsehen und Computer werden selten eingeschaltet. Richard hat Verpflichtungen zu Hause. Sport steht täglich auf dem Programm, damit er sich austoben kann.“ Und es klappt seit einem halben Jahr – ohne Medikamente!
*Namen von der Redaktion geändert
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