ADHS: Erziehungsfehler als Ursache?
Häufig werden bei Kindern mit ADHS Erziehungsfehler der Eltern als Ursache vermutet. Zwar sind die Eltern keineswegs schuld an der Erkrankung ihres Kindes – dennoch können sie mit ihrem Erziehungsstil einen großen Einfluss auf die Ausprägung der Symptome nehmen.
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Können an der Erkrankung ADHS Erziehungsfehler der Eltern schuld sein? Vielen Müttern und Vätern betroffener Kinder wird das von ihrem Umfeld mehr oder weniger subtil suggeriert. Doch die Antwort darauf lautet eindeutig Nein.
Dennoch können bei ADHS „Erziehungsfehler“ dazu beitragen, die Symptome zu verschlimmern. Das bedeutet aber auch: Einige Regeln und Tricks bei der Erziehung von Kindern mit ADHS können dazu beitragen, die Symptomatik zu lindern und das Familienleben einfacher zu gestalten.

Liegen bei ADHS die Ursachen in der Erziehung? Das sagt die Forschung
Wie genau ADHS entsteht, ist aktuell noch Gegenstand der Forschung. Expert:innen nehmen an, dass dabei ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren ausschlaggebend ist. Eine wichtige Rolle spielt demnach die erbliche Veranlagung. Speziell stehen Genvarianten im Verdacht, ADHS (mit)auszulösen, die einen Einfluss auf die sogenannten Neurotransmitter im Gehirn haben. Diese chemischen Substanzen sind Botenstoffe mit der Aufgabe, Informationen von einer Nervenzelle zur nächsten zu tragen. Es gibt Hinweise aus der Forschung, dass einige dieser Informationsträger bei ADHS im Gehirn aus dem Gleichgewicht geraten beziehungsweise nicht ausreichend vorhanden sind.
Zusätzlich zu den genetischen Voraussetzungen scheinen aber auch äußere Umweltfaktoren sowie psychosoziale Aspekte einen Einfluss darauf zu haben, ob und in welchem Ausmaß sich eine ADHS-Symptomatik entwickelt. So erhöhen beispielsweise Alkohol-, Zigaretten- und Drogenkonsum in der Schwangerschaft sowie eine Frühgeburt oder Sauerstoffmangel bei der Geburt laut Studien das Risiko, dass ein Kind später ADHS-Anzeichen zeigt. Auch bestimmte Lebensmittelzusatzstoffe und Umweltgifte werden als potenzielle Begünstiger von ADHS diskutiert.
Erkrankungen des Gehirns sowie verschiedene Infektionskrankheiten stehen ebenfalls im Verdacht, den Ausbruch der Krankheit begünstigen zu können. Und schließlich können auch die sozialen Umstände, in denen ein Kind aufwächst, die Ausprägung seiner ADHS-Symptome deutlich beeinflussen. Insbesondere traumatische und gewaltvolle Erlebnisse oder schwere Vernachlässigung sowie eine erhebliche Armut der Eltern können hier eine Rolle spielen.
ADHS: Erziehung kann Einfluss nehmen
Natürlich wird das psychosoziale Umfeld, in dem ein Kind aufwächst, auch maßgeblich von seiner Erziehung geprägt. Wie auch bei allen anderen Kindern hängt eine positive Entwicklung bei ADHS-betroffenen Kindern maßgeblich davon ab, ob sie genügend Zuwendung und Rückhalt in ihrer Familie erfahren. Auch ein positiver Umgang mit Konflikten kann das Ausmaß der Symptome lindern – denn häufige Konflikte, die als bedrohlich oder gewaltvoll erlebt werden und mit Schuldgefühlen verbunden sind, setzen das Kind enorm unter Stress, was seine Symptome mit großer Wahrscheinlichkeit verschlimmert. Zusätzlich ist es wichtig, die der ADHS geschuldeten Besonderheiten des Kindes nicht zu ignorieren, sondern gezielt auf seine besonderen Bedürfnisse einzugehen.
ADHS-Erziehungsfehler vermeiden: 6 goldene Regeln
Das Familienleben mit einem Kind, das an ADHS leidet, ist schon Herausforderung genug. Was Eltern in dieser Situation am wenigsten brauchen, sind Schuldgefühle und Vorwürfe, was ihren Erziehungsstil angeht. Dennoch ist es in jedem Fall sinnvoll, sich mit den speziellen Bedürfnissen des eigenen Kindes zu beschäftigen und sich bei der Erziehung an einige Regeln zu halten. Das kann sich erheblich auf die Symptomatik des Kindes auswirken und mehr Frieden und Entspannung ins Familienleben bringen; und das tut Kindern wie Eltern gut. Folgende Regeln und Tricks haben sich im Umgang mit ADHS-Kindern bewährt:
Strukturierter Tagesablauf: Vielen betroffenen Kindern hilft ein geregelter, vorhersehbarer Tagesablauf, besser im Alltag zurechtzukommen. Dazu gehören beispielsweise feste Uhrzeiten für bestimmte Tätigkeiten (z.B. Essen, Hausaufgaben, Haustierpflege).
Klare Regeln und Anweisungen: Regeln bezüglich Aufgaben im Alltag und den Umgang miteinander sollten klar und möglichst einfach und bestimmt kommuniziert werden und sich nicht spontan ändern. Anweisungen sollten möglichst deutlich formuliert und in kleine Arbeitsschritte „zerlegt“ werden: „Räum bitte die Bauklötze in die Baukiste“, oder „räum bitte deine Bücher ins Bücherregal“. Nicht einfach „räum bitte dein Zimmer auf“ oder „räum bitte deine Sachen weg“. Und ganz wichtig: Nach erledigten Arbeitsschritten loben! Das stärkt die Motivation und das Vertrauen des Kindes in seine eigenen Fähigkeiten.
Ausreichend Bewegung: Regelmäßige Bewegung ist für alle Kinder wichtig – aber bei Mädchen und Jungen mit ADHS hilft sie zusätzlich, die Symptome zu lindern. Studien zufolge führt Sport bei ihnen dazu, dass ihre Konzentrations- und Gedächtnisleistung ansteigt. Die Sportart muss dabei vor allem ein Kriterium erfüllen: Sie muss dem Kind Spaß machen. Am besten ist zwei- bis dreimal pro Woche eine Stunde Sport – aber auch an den anderen Tagen sollte das Kind die Möglichkeit haben, sich zu bewegen und auszutoben.
Maßvoller Medienkonsum: Betroffene Kinder fühlen sich häufig noch stärker zu Medien wie TV und Computerspielen hingezogen als ihre Altersgenossen ohne ADHS. Zum einen schätzen sie die Ablenkung und die Möglichkeit zur Realitätsflucht. Zum anderen zeigen sie teils ein besonderes Talent darin, bei Computerspielen schnelle Erfolge zu erzielen, was oft ganz im Kontrast steht mit ihrem ständigen „Versagen“ in Schule und Sozialleben, das unentwegt an ihrem Selbstwertgefühl nagt. Um dafür zu sorgen, dass das Kind nicht in eine Medienabhängigkeit gerät und sich seine ADHS-Symptome durch die Mediennutzung nicht verstärken, sollten Eltern Regeln zur zeitlichen Begrenzung des Medienkonsums aufstellen und diese eisern durchsetzen. Die TV- und Computerzeit kann auch an die Erfüllung bestimmter Alltagsaufgaben geknüpft sein (z.B. eine halbe Stunde Computerspielen nach den Hausaufgaben). Wie lang genau die tägliche Medienzeit für das individuelle Kind sein sollte, hängt vom Alter und den Symptomen des Kindes ab – Eltern können sich dabei beispielsweise mit Lehrer:innen oder Therapeut:innen besprechen.
Lob: Betroffene Kinder bekommen in der Schule und auch zuhause häufig viel negatives Feedback, das Motivation und Selbstwertgefühl förmlich verschlingen kann. Darum ist Lob ein Werkzeug, das bei der Erziehung von ADHS-Kindern kaum überschätzt werden kann. Lob sollte das Kind nicht nur für erfolgreich beendete Aufgaben bekommen, sondern bereits für den Willen zur Anstrengung; auch, wenn das Ziel letztendlich nicht erreicht wurde. Denn sich überhaupt auf eine Aufgabe zu konzentrieren, ist für ein ADHS-Kind eine viel höhere Leistung als für Jungen und Mädchen ohne die Störung. Mit Kritik sollten sich Eltern dagegen besonders bei den Hausaufgaben eher zurückhalten. Kleine Fehler und Schusseligkeiten können gerne übersehen werden; lieber Anstrengung und Durchhaltevermögen loben und „feiern“, wenn die Aufgabe komplett fertiggestellt wurde.
Geduld und Verständnis: Die letzte Regel ist besonders schwierig einzuhalten: ADHS-Kinder können extrem anstrengend sein. Eltern sollten darum immer versuchen, so gut wie möglich im Kopf zu behalten, dass ihr Nachwuchs das nicht mit Absicht macht. Das kann dabei helfen, (so oft wie möglich) einen positiven und zugewandten Umgangston zu bewahren. Der ist wichtig, um die Motivation des Kindes im so herausfordernden Alltag aufrecht zu erhalten. Das gilt natürlich für alle Kinder – aber Jungen und Mädchen mit ADHS ecken im Alltag viel häufiger an und brauchen darum im Schnitt mehr „Rückendeckung“ von ihren Familien als ihre Altersgenossen.
Für Eltern von Kindern mit ADHS: Erziehungsfehler passieren jedem
Genauso wie mit ihrem Nachwuchs sollten Eltern von ADHS-Kindern aber auch mit sich selbst nachsichtig umgehen. Keine Mutter und kein Vater – auch nicht von dem pflegeleichtesten Kind der Welt – schafft es, sich durchweg verständnisvoll zu verhalten. Und für Eltern von Kindern mit ADHS ist diese ohnehin unerfüllbare Aufgabe noch um ein Vielfaches schwieriger.
Sich selbst zu verzeihen, wenn man den eigenen Anforderungen nicht gerecht geworden ist, wenn man laut wurde, sich unfair oder herrisch verhalten hat, ist zwar nicht einfach, wirkt aber enorm entlastend. Denn ständige Schuldgefühle bringen niemanden weiter, sondern zehren zusätzlich an den Kräften.
Überhaupt sollten Eltern von ADHS-Kindern ihr eigenes Wohlbefinden nicht aus den Augen lassen. Auszeiten für sich allein oder als Paar bedeuten zwar häufig einen enormen Organisationsaufwand, haben aber auch einen großen Effekt, der neben der eigenen Gesundheit auch dem Kind zugutekommt: Denn wer sich selbst nicht wohlfühlt, gestresst, krank oder ausgelaugt ist, kann anderen weniger Mitgefühl entgegenbringen – was den zugewandten Umgang mit einem lauten, chaotischen und aufbrausenden Kind wieder deutlich erschwert.
Wer es dagegen schafft, sich regelmäßig um sich selbst zu kümmern, ist in der Regel auch entspannter im Umgang mit seinem Nachwuchs. Und dann passieren Eltern von Kindern mit ADHS Erziehungsfehler deutlich seltener – und wenn es doch einmal passiert, fallen sie nicht so schwer ins Gewicht.
Quellen:
Millichap, J. G. (2008): Etiologic classification of attention-deficit/hyperactivity disorder, in: Pediatrics
Faraone, Stephen V., et al. (2021): The world federation of ADHD international consensus statement: 208 evidence-based conclusions about the disorder, in: Neuroscience & Biobehavioral Reviews
Stergiakouli, Evangelia, et al. (2012): Investigating the contribution of common genetic variants to the risk and pathogenesis of ADHD, in: American Journal of Psychiatry