ADHS bei Frauen: Die wichtigsten Merkmale
Träumerchen statt Zappelphilipp: Bei Frauen und Mädchen zeigt sich ADHS oft anders als bei Jungen und Männern – und wird darum häufig erst spät oder gar nicht diagnostiziert. Aber wie erkennt man ADS oder ADHS bei Frauen? Die wichtigsten Merkmale!
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Die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (kurz ADHS) ist, wie der Name schon sagt, charakterisiert von der Kombination von Aufmerksamkeitsschwierigkeiten und einer Hyperaktivität, häufig gepaart mit einer ausgeprägten Impulsivität. ADHS bei Frauen zeigt sich häufig anders als bei Männern. Das führt leider oft dazu, dass die betroffenen Frauen später Hilfe bekommen und lange Zeit das Gefühl haben, nicht nur anders, sondern „ungenügend“ zu sein.
Warum wird ADHS bei Mädchen seltener diagnostiziert?
ADHS wird bei Jungen zwei- bis dreimal so oft diagnostiziert wie bei Mädchen. Ob die Störung bei Jungen allerdings tatsächlich häufiger vorkommt, ist umstritten. Fest steht, dass betroffene Mädchen in der Regel später ihre Diagnose erhalten und deutlich seltener an entsprechende Fachärzt:innen überwiesen werden.
Ein Grund für die seltenere ADHS-Diagnose bei Mädchen könnte in der teils unterschiedlichen Ausprägung der Symptome liegen. Es gibt drei verschiedene „Typen“ von ADHS: den vorwiegend unaufmerksamen Typ, den vorwiegend hyperaktiv-impulsiven Typ und den gemischten ADHS-Typ, bei dem beide Merkmale etwa in gleichem Ausmaß auftreten.
Der vorwiegend unaufmerksame ADHS-Typ (auch ADS genannt) kommt häufiger bei weiblichen Betroffenen vor (kann aber bei Jungen und Männern auch auftreten). Besonders bei Mädchen fehlt der hyperaktiv-impulsive Teil der Störung häufig ganz, was die Diagnose erschwert. Denn ein Klassenclown, der ständig den Unterricht stört, fällt eher auf, als ein verträumtes Kind, das dauernd aus dem Fenster sieht und sich kaum am Unterricht beteiligt. Im Erwachsenenalter haben Frauen häufiger den gemischten ADHS-Typ.
Dass die Aufmerksamkeitsstörung bei den betroffenen Mädchen so häufig übersehen wird, kann schwerwiegende Folgen für sie haben – beispielsweise deutlich schlechtere schulische Leistungen als sie eigentlich erbringen könnten. Denn ihre Probleme dabei, sich auf den Unterricht zu konzentrieren, führen häufig dazu, dass von dem Lernstoff kaum etwas zu ihnen durchdringt. Stattdessen springen ihre Gedanken zwischen verschiedenen Themengebieten hin und her.
Zusätzlich kommen sie häufig zu spät, vergessen ihre Hausaufgaben, verlieren ihre Arbeitsblätter und wirken auf die Lehrer:innen chaotisch und unengagiert, was zu schlechten Noten und damit letztlich zu schlechteren Karrierechancen führt.
Bei vielen ADS-Frauen leidet das Selbstwertgefühl
Der auffälligste Unterschied zwischen männlichen und weiblichen ADHS-Betroffenen ist wohl, dass letztere ihre Symptome häufiger internalisieren, während Jungen und Männer mehr externalisierends Verhaltens (übermäßige Hyperaktivität, Stören im Unterricht etc.) zeigen. Ein Grund dafür, warum viele ADHS-lerinnen ihre Symptome „nach innen verlagern“, könnte daran liegen, nicht als „anders“ aufzufallen.
Dazu gehört häufig, dass sie große Anstrengungen unternehmen, um beispielsweise leistungsmäßig mit ihren Kolleg:innen mithalten zu können. Doch trotz zeitlichen Mehraufwands gelingt ihnen das oft nicht. Sie sehen sich dann selbst als chaotisch oder unfähig an. Dieses Selbstbild wird teils schon in der Schulzeit geprägt, wenn die betroffenen Mädchen von Lehrkräften als faul, desinteressiert oder unfähig verurteilt werden. Das Problem: Niemand erkennt, dass ihre Überforderung aus ihrer unerkannten ADHS resultiert.
Solch negatives Feedback aus der Schule oder Berufszeit kombiniert mit einer selbstkritischen Einstellung kann zu einem geringen Selbstwertgefühl führen, das durch immer weitere erfolglose Bemühungen mit der Umwelt „mitzuhalten“ noch weiter beschädigt wird.
So haben viele ADHS-lerinnen zum Zeitpunkt ihrer Diagnose bereits einige Therapien hinter sich in dem Versuch ihr Selbstwertgefühl zu verbessern, an ihrem Zeitmanagement zu arbeiten oder allgemein im Leben besser zurechtzukommen. Da der wahre Grund für ihre Schwierigkeiten, die ADHS, dabei aber nicht erkannt wird, blieben die Probleme bestehen – ein weiteres „Versagen“, das am Selbstwert nagt.
Vielleicht als Folge davon entwickeln Frauen mit ADHS häufig Begleiterkrankungen wie Angststörungen, Burnout, Depressionen, Essstörungen und Suchterkrankungen.
ADHS-Symptome bei Frauen: Die wichtigsten Anzeichen
Folgende Symptome treten bei Frauen mit ADS oder ADHS gehäuft auf:
Konzentrationsschwäche: Betroffene Frauen haben große Schwierigkeiten damit, sich für längere Zeit auf eine Sache zu konzentrieren; besonders, wenn es eine Sache ist, die sie persönlich nicht besonders interessiert. Sie wirken darum häufig verträumt oder zerstreut. Im Job erbringen sie teilweise trotz großer Anstrengungen nur mittelmäßige Leistung. Um diese Schwäche zu kompensieren, machen sie mitunter viele Überstunden, um die Rückstände aufzuarbeiten. Durch dieses erhöhte Arbeitspensum steigt zusätzlich die Burnout-Gefahr.
Impulsivität: Wie bereits erwähnt, tritt die Impulsivität nicht bei allen betroffenen Frauen auf – ist das Symptom vorhanden, kann es den Alltag aber gehörig beeinträchtigen. Später bereute Wutausbrüche oder Impulskäufe etwa sind bei vielen ADHS-Frauen keine Seltenheit.
Chaos im Kopf und im Leben: Selbstorganisation und Priorisierung fällt den Betroffenen häufig sehr schwer. Ihre Arbeitsweise erscheint darum häufig chaotisch. Sie können sich in unwichtige Details „verrennen“ und dabei das Wesentliche aus den Augen verlieren. Auch zu Hause herrscht bei ADHS-Frauen häufig Chaos, beispielsweise, weil es ihnen beim Aufräumen nicht gelingt, lange genug bei der Sache zu bleiben und sie ständig von anderen Gedanken oder Impulsen abgelenkt werden.
Allgemeine Überforderung: Einkaufen, Wäsche waschen, Rechnungen bezahlen und pünktlich auf der Arbeit erscheinen – viele Frauen mit ADHS fühlen sich im Alltag überfordert und haben das Gefühl, allein nicht lebensfähig zu sein. Diese Probleme offenbaren sich häufig schlagartig mit dem Auszug bei den Eltern, weil dann eine große Stütze bei der Organisation des eigenen Lebens schlagartig wegfällt.
„Springende“ Gedanken und Handlungen: Häufig haben Frauen mit ADHS das Problem, dass ihre Gedanken ständig hin- und herspringen; dem Redebeitrag einer Kolleg:in zu folgen, kann ihnen beispielsweise extrem schwerfallen. Dasselbe Problem können Sie bei Handlungen im Alltag haben, etwa beim Hausputz: Sie fangen engagiert an, nach kurzer Zeit liegt der Staubsauger aber in der Ecke und sie haben eine andere Beschäftigung gefunden, die sie ablenkt und den ursprünglichen Plan, sauberzumachen, komplett vergessen lässt. Daraus resultiert häufig das Gefühl, trotz großer Anstrengungen nicht voranzukommen. Betroffene Frauen verzetteln sie sich dann häufig darin, endlose To-Do-Listen zu schreiben, die aber niemals vollständig abgearbeitet werden.
Beziehungsprobleme: Vielen ADHS-Frauen fällt es schwer, Freundschaften aufrechtzuerhalten und sich regelmäßig bei Freund:innen zu melden. Oft findet ein häufiger Wechsel von Freundschaften und Partnerschaften statt – auch ein riskantes Sexualverhalten und Teenagerschwangerschaften treten bei ADHS-lerinnen häufiger auf.
Große Begeisterungsfähigkeit: Eine ADHS bringt nicht nur Probleme mit sich; die Betroffenen haben auch ganz besondere Stärken. Eine davon ist sicherlich ihre große Begeisterungsfähigkeit; auch Einfühlungsvermögen und Kreativität gehören zu den häufigen Begabungen von ADHS-Frauen.
ADHS bei erwachsenen Frauen: „Gutes Funktionieren“ erschwert die Diagnose
Ein hoher IQ kann der Diagnose ADHS bei Frauen zusätzlich im Weg stehen. Hat eine Frau beispielsweise einen guten Schulabschluss erzielt, wird ihr die ADHS-Problematik von Fachärzt:innen mitunter nicht abgenommen – dahinter steckt die Grundannahme, dass solche Leistungen mit ADHS gar nicht möglich sind.
Dabei wird übersehen, welch extreme Kraftanstrengungen es die betroffene Frau gekostet hat, an diesen Punkt zu kommen. Denn mit einem hohen IQ geht häufig eine bessere Anpassungsfähigkeit und eine höhere kompensatorische Leistung einher. Der Preis dafür ist eine entsprechend spätere Diagnose – oder das komplette Ausbleiben einer Erklärung für ihr „Anderssein“.
ADHS-Frauen und PMS
Frauen mit ADHS berichten häufig von einem stark ausgeprägten prämenstruellen Syndrom – die hormonellen Veränderungen in den Tagen vor der Menstruation können bei ihnen eine bereits vorhandene Impulsivität verstärken und zu starken Stimmungsschwankungen führen.
ADHS bei Frauen: Muttersein als ganz besondere Herausforderung
Elternwerden bedeutet, dass es plötzlich ein weiteres Leben zu organisieren gilt – mit Verpflegung und Bekleidung, Arztbesuchen und der Pflege sozialer Kontakte. Eine Frau mit ADHS kann von dieser Wucht an zusätzlichem Organisationsaufwand geradezu überwältigt werden.
Für von ADHS betroffene Mütter kann es außerdem schwieriger sein als für nicht betroffene, einen bestimmten Erziehungsstil „durchzuhalten“. ADHS bei der Mutter kann aber auch eine gute Seite haben; nämlich dann, wenn das Kind ebenfalls ADHS hat (die Störung ist zu einem großen Teil erblich bedingt). Dann kann ein größeres Verständnis der Mutter für die Schwierigkeiten ihres Kindes für das Kind von großem Vorteil sein.
Viele Frauen mit ADHS kommen sogar erst dadurch zu ihrer Diagnose, dass die Störung bei ihrem Kind diagnostiziert wird. In diesem Zuge fällt ihnen nämlich auf, dass sie die Symptome auch von sich selbst kennen.
ADHS oder ADS bei Frauen: Diagnose als Befreiungsschlag
Die Diagnose ADHS bedeutet für viele betroffene Frauen eine enorme Erleichterung, unter anderem weil das „große Versagen“, als das eigene Leben bisher gesehen wurde, plötzlich in einem anderen Licht erscheint. Mit einer entsprechenden Behandlung kommen sie im Alltag in der Regel außerdem deutlich besser zurecht. Häufig lernen die Betroffenen auch, das Defizit als Chance zu sehen. Denn die ADHS bei Frauen und Mädchen bringt genau wie bei betroffenen Jungen und Männern neben zahlreichen Herausforderungen auch besondere Potenziale und Begabungen mit sich.
Quellen:
ADHS bei Frauen, in: adhd-women.eu
Was ist der Unterschied bei ADHS bei Männern und bei Frauen?, in: adhs-deutschland.de
Elternschaft mit ADHS, in: aerzteblatt.de
The Face of ADHD in Women, in: adhdcentre.co.uk
Lese-Empfehlungen für Frauen mit ADHS:
Ryffel-Rawak, Doris (2017): ADHS bei Frauen – den Gefühlen ausgeliefert. Göttingen: Hegrefe Verlag
Solden, Sari und Frank, Michelle (2019): A Radical Guide for Women with ADHD: Embrace Neurodiversity, Live Boldy, and Break Through Barriers: Embrace Neurodiversity, Live Boldly, and Break Through Barriers. Oakland: New Harbinger Publications
kirmesimkopf (Instagramkanal einer ADHS-Betroffenen)