Achalasie: „Endlich kann ich wieder mit Genuss essen“

Keine Magersucht sondern „Achalasie“. Die Nahrung kam nur spärlich im Magen an, das Essen dauerte Stunden – doch der Weg zur Diagnose war lang. Beim Essen war sie immer die Letzte. Während alle längst fertig waren, saß Mandy Scott immer noch vor ihrem gefüllten Teller.
„Mindestens eine Stunde brauchte ich beim Mittagessen, weil ich solche Bauchschmerzen hatte. Auch die Ermahnungen meiner Mutter halfen nicht", erinnert sich die heute 24-jährige Zahnarzthelferin aus Berlin.
Da sie nach den Mahlzeiten immer über Schmerzen im Oberbauch klagte, ging die Mutter mit ihr zum Arzt. Der konnte aber nichts feststellen und schob ihr Verhalten auf eine „Trotzphase". Doch die Mutter gab nicht auf, ging mit ihr zu weiteren Ärzten. Nach einem Jahr stellte dann ein Mediziner die richtige Diagnose: Mandy Scott hatte Achalasie – eine selten erkannte Nervenerkrankung am Schließmuskel zwischen Speiseröhre und Mageneingang. Während ein Nervengeflecht diese Pforte verschlossen hält, damit keine Magensäure in die Speiseröhre austritt, muss eine zweite Nervengruppe den Durchgang öffnen, sobald Nahrung durchgeleitet werden soll.
Die Speiseröhre wird immer weiter
Das funktioniert bei den Betroffenen aber nicht richtig: Der Schließmuskel ist dauernd verkrampft, kann sich nicht öffnen. Als Folge davon bleibt ihnen das Essen in der Speiseröhre stecken. Sie dehnt sich dadurch auf ein Vielfaches ihrer normalen Größe aus und bildet am unteren Ende oft eine Verformung.
Operation statt Aufdehnung
Mandy Scott erinnert sich: „Als nun endlich klar war, dass ich kein Suppenkasper, sondern krank war, kam ich in eine Klinik. Dort wurde der Schließmuskel mit einem kleinen Ballon so aufgedehnt, dass Nahrung passieren konnte. Danach konnte ich sogar normal essen." Doch der Erfolg hielt nicht lange an. „Insgesamt musste ich in den letzten Jahren acht Mal die unangenehme Prozedur über mich ergehen lassen. Dann sagte mir ein Arzt, dass mir nur noch eine Operation helfen könne." Die junge Frau stieß im Internet auf eine neue OP-Methode, die in Deutschland nur von sehr wenigen Ärzten durchgeführt wird.
Mandy Scott nahm Kontakt mit dem Chefarzt der Chirurgie im Evangelischen Krankenhaus in Castrop-Rauxel auf, Dr. Henning G. Schulz (48). Nachdem er die Krankengeschichte gelesen und Röntgenaufnahmen gesichtet hatte, empfahl er ihr die sogenannte „endoskopische OP".
„Bei diesem Verfahren müssen wir den Bauchraum nicht öffnen, sondern können über fünf kleine Einstiche mit feinen Instrumenten den Schließmuskel verändern. Dazu durchtrennen wir am Mageneingang die Muskelwand des Schließmuskels so, dass er nicht mehr verkrampft und den Zufluss freigibt."
Essen macht endlich wieder Spass
Ganz wichtig ist, dass dabei die innere Schleimhaut des Magens nicht verletzt wird. Sie muss völlig intakt bleiben, damit weder Magensäure noch Speisebrei in den Bauchraum austreten können. Mandy Scott: „In der Klinik bekam ich nur flüssige Nahrung. Aber zu Hause durfte ich mich langsam an Brei und später an leichte feste Kost gewöhnen." Nach sechs Wochen war die Fastenzeit endlich vorbei. „Heute esse ich mit Genuss alles, worauf ich viele Jahre verzichten musste", freut sie sich.
Achalasie
Der Dauerkrampf des Magen-Schließmuskels wird von Ärzten sehr selten festgestellt. Doch bei Verdacht auf diese Krankheit ist sie durch eine Röntgenaufnahme sehr gut zu bestimmen. Die stark erweiterte Speiseröhre zeigt sich auf dem Röntgenbild deutlich als Syphon oder in Form eines Sektkelches. Dennoch ist die Dunkelziffer der Betroffenen enorm hoch. Oft wird als Grund für die Nahrungsverweigerung eine Essstörung angenommen. Die Patienten werden dann psychologisch wegen Bulimie oder Anorexie behandelt. Manche können nur so wenig essen, dass sie einen dramatischen Gewichtsverlust hinnehmen müssen und ständig ein Leben nahe am Hungertod führen. Bei anderen wird wegen der Brustschmerzen ein Herzinfarkt vermutet. Es sind sogar Fälle bekannt, wo Achalasie-Patienten fälschlich ein Herzkatheter eingesetzt wurde. Behandlungen durch Ballondilatation (Aufdehnung) waren oft nicht zufriedenstellend. Ähnliches gilt für die Therapie mit Botox (Butolinum-Toxin). Auch hier ist nur eine zeitlich begrenzte Besserung von einigen Monaten zu erwarten.
Quelle: Mach mal Pause, 31/2012