Drosten, Wieler und Spahn: Experten warnen vor zu viel Leichtsinn
Gesundheitsminister Jens Spahn, RKI-Chef Lothar H. Wieler, Intensiv-Mediziner Prof. Gernot Marx und Prof. Christian Drosten beantworteten kritische Fragen über die aktuelle Corona-Lage. Die bittere Erkenntnis: Es ist noch nicht vorbei! Und es wird zudem noch ein langer Weg.
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„Keiner von uns hat bei den ersten Fällen geahnt, was sich daraus entwickeln würde“, erklärt Jens Spahn am Freitagvormittag bei der Bundespressekonferenz, dieses Mal gemeinsam mit RKI-Chef Lothar H. Wieler, Prof. Gernot Marx von der Vereinigung der Intensiv- und Notfallmediziner und Prof. Christian Drosten, Direktor am Institut für Virologie der Charité Berlin.
Jens Spahn: „Es ist noch nicht vorbei“
Trotz aktuell sinkender Zahlen mahnt Gesundheitsminister Jens Spahn: „Es ist noch nicht vorbei. Auch nach einem Jahr nicht, auch wenn wir uns das alle wünschen.“ Ähnlich wie bei einem Antibiotikum dürfe man jetzt die Maßnahmen nicht frühzeitig absetzen. Denn wenn man zu früh damit aufhöre, könne weiterer Schaden und sogar Resistenzen entstehen. „Wir sehen eine Entlastung, aber es ist immer noch eine ziemliche Belastung", resümiert Jens Spahn mit Blick auf das Gesundheitssystem.
Intensiv-Mediziner: Müssen 3. Welle verhindern
Wie stark das Gesundheitssystem immer noch unter den aktuellen Corona-Infektionen leidet, berichtet Prof. Gernot Marx von der Vereinigung der Intensiv- und Notfallmedizin: „Wir haben in Deutschland ausgezeichnet ausgebildete Pflegekräfte und Ärzte, die allerdings seit einem Jahr extrem belastet sind.“ Und man brauche diese intensivmedizinischen Teams auch nach der Corona-Pandemie noch – und zwar fit, betont Prof. Gernot Marx.
Er vermutet, dass erst im April die Patientenzahl auf den Intensiv-Stationen unter tausend liegen werden – wenn es nicht zu einem extremen Anstieg bedingt durch die neuen Corona-Mutationen aus Großbritannien, Südafrika oder Brasilien komme. „Eine Ausbreitung der neuen Virusmutation aus England auf dem aktuellen Niveau führt zu einer extremen Belastung der Intensiv-Medizin“, so der Experte. „Wir müssen verhindern, dass die 3. Welle kommt, um handlungsfähig zu sein.“
Drosten: Wie groß ist die Gefahr der Corona-Mutanten wirklich?
„Einige Wissenschaftler haben bemerkt, dass diese Virus-Variante (Corona-Mutation aus England) deutlich stärker übertragbar ist“, erklärt Prof. Christian Drosten. Um genau zu sein, liegt nach aktuellen Daten der R-Wert (Reproduktionswert) um 0,22 bis 0,35-mal höher als bisher. „Es ist garantiert, dass so eine Mutante sich dann stärker verbreitet. Das ist ein Faktum, das wir akzeptieren und mit dem wir arbeiten müssen“, so Drosten.
Drosten vermute, dass die Virus-Mutation in Deutschland noch vor Weihnachten gar keine Rolle gespielt habe und über Weihnachten über den Reiseverkehr eingeschleppt wurde. Da aber bisher in Deutschland nicht flächendeckend sequenziert wurde und es auch keine Meldepflicht bei Auffälligkeit des Virus gibt, habe man derzeit kein klares Bild. „Ich kann keine Zahlen nennen, weil die nicht repräsentativ wären“, erläutert Christian Drosten.
Nun gilt es, ein klares Datenbild zu bekommen. Auch wenn der Druck, nach Durchimpfung der Risikogruppen höher werde, die Maßnahmen schneller zu beenden, müsse man sich klar werden, dass das die Infektionslage wieder verschlimmern könne. Drosten warnt eindringlich vor frühzeitigen Lockerungen – auch wenn es wieder wärmer wird.
Keine Lockerungen im Sommer
„Wir sollten uns nicht zu sorglos hinstellen und sagen, wenn es wieder wärmer wird, wird es wieder wie im letzten Sommer. Wir haben im letzten Sommer sehr früh Maßnahmen ergriffen. Das war sehr effizient. Das ist aber in anderen Ländern, auch in wärmeren, nicht so gewesen“, mahnt Christian Drosten. Man solle „lieber nicht naiv in die Situation reingehen“ und „lieber vorbereitet“ sein, so der Experte. Und auch Intensiv-Mediziner Prof. Gernot Marx warnt: „Wir müssen vor die Lage kommen. Man sehe in Großbritannien und Portugal, was passiert, wenn man zu früh öffnet.“
No-COVID-Strategie auch in Deutschland?
Das Gegenteil zur Rückkehr zur Normalität wäre die No-COVID-Strategie – also so lange die harten Maßnahmen durchführen, bis keine Corona-Fälle mehr auftreten. In Deutschland sei diese Maßnahme nicht durchführbar, erklärt Gesundheitsminister Jens Spahn. „Es ist ein Unterschied, ob sie in der Mitte eines Kontinents liegen mit offenen Grenzen, oder ob sie in einer Insel jeden, der per Flugzeug ins Land kommt, kontrollieren und testen können. Ich sehe die Null als dauerhafte Zielmarke nicht als das, was in unserem Land funktionieren kann“, so Spahn.
Es gibt Wege aus der Krise raus, beteuert der Gesundheitsminister. Hier ginge es nicht um Absolutheit, sondern um Abwägungsentscheidungen. Schritt für Schritt werde daher das Robert Koch-Institut zusammen mit der Wissenschaft eine Entscheidungsgrundlage erarbeiten, wie es weitergehen kann.
RKI-Chef bestürzt über hohe Todeszahlen
„Wir dürfen nicht nachlassen. Nur 21 Landkreise haben zur Zeit eine Inzidenz von unter 50“, erklärt der Präsident des Robert Koch-Institut Lothar H. Wieler noch einmal mit Nachdruck. Leider sehe man nach wie vor viele Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen. Insgesamt wisse man derzeit von 900 Ausbrüchen, „Und leider bekommen wir jeden Tag sehr viele Todeszahlen übermittelt“, so der RKI-Chef. Auch er appelliert daher noch einmal, dass es essentiell sei, die Corona-Maßnahmen weiterhin einhalte. Nur so könne man das Virus bekämpfen.
Jens Spahn, Christian Drosten, Lothar Wieler und auch Prof. Gernot Marx sind sich genau wie die Bundeskanzlerin zuvor darin einig, dass nur das Durchhalten und Einhalten der Corona-Maßnahmen einen langfristigen Erfolg bringen kann. Es lässt sich also festhalten: Auch wenn die Infektionszahlen derzeit runter gehen, ist es nach Meinung der Experten noch einer langer Weg, bis die Pandemie endet.